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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 10, S. 392

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KÜNSTLERHAUS.
Von Paul Wilhelm (Wien).

Das Künstlerhaus hat seine Jahresausstellung eröffnet. Die geringe
Anzahl der ausgestellten Bilder fällt angenehm auf. Es gibt wenige
todt gehängte Künstler. Auch mag man mit mehr Ruhe und Musse
seine Eindrücke empfangen. Die Gesammtwirkung ist eine nicht un-
freundliche, aber bewegungsarme. Keine Evolution, nichts Ueberraschendes.
Manches Gute, viel Tüchtiges und sehr viel Unpersönliches. Das
Temperament des Kritikers wird nur wenig angeregt. Unter den
Plastikern ist vor Allen V. Vallgren in Paris mit seinen Bronzen zu
nennen. In seiner Kleinplastik: Hausgeräthe mit bildnerischem Schmuck,
liegt Cultur. In den Figuren liegt Leidenschaftlichkeit in ornamentaler
Rundung und Stilisirung, eine fremdartige Grazie mit weichen Formen
und tiefer Geschlossenheit des Ausdruckes. Eine herbe Grösse geht
durch die leise Verschwommenheit der Contouren. In ihnen liegt jener
Dämmerzauber ungewisser Empfindung, die die Liebe zum Ding be-
deutet, die Seele der Materie und das innerste Leben des Milieu. Dagegen
erscheint Arthur Strasser durch die plastische Darstellung des rein
Gegenständlichen künstlerisch rauher. Er gibt die Form als Ausdruck,
als Selbstzweck. Seine Schwerttänzerin hat nicht das innere Leben, die
Bewegung der Materie, welche bei seinen früheren Arbeiten die mühsam
bildende Hand vergessen liessen. Seine Amazonenkönigin, der Auf-
fassung nach an seinen vorjährigen Marc Anton erinnernd, ist monu-
mental, aber unbeseelt. Das scheinbar Grosszügige in der Wirkung liegt
in der wuchtigen Behandlung des Materials, eine künstlerisches Ellen-
bogeneinstemmen, das beinahe wie ein Ansatz zu Brutalität anmuthet.
Es scheint, Strasser fängt an sich seines Wollens bewusst zu
werden. Der gefährlichste Weg, dasselbe in Zwiespalt mit dem Können
zu bringen.

Emil Fuchs verdient Erwähnung. Nicht als ob die »Mutterliebe«
ein grosses Werk wäre, dazu fehlt ihr die Absichtslosigkeit der Tragik,
aber es sind vornehme künstlerische Qualitäten darin. Vor Allem ein
starker Sinn für die horizontale und verticale Linie im Raume. Ihr
verdankt der Plastiker die Wirkung auf das Auge.

Auch Peter Breuer in Berlin und Arthur ?aan sind mit Er-
munterung zu nennen. T. F. Ries hat einen »Lucifer« mit starker
Uebersetzung ins Menschliche geschaffen. Sie entgeistert und entgöttert
ihn. Der Satan aus Schönaich-Carolath’s »Sulamith«! »Sachverständige«
sollen ihn den Nietzsche’schen Uebermenschen genannt haben. Die
Künstlerin rechtfertigte sich damit, dass sie noch keine Zeile von
Nietzsche gelesen habe. Man wird gewiss nicht an ihren Worten

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 10, S. 392, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-10_n0392.html)