Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 10, S. 396
Text
ihrem Gatten loszuringen sucht, der sie mit plumpen, rohen Fäusten
seelisch knechtet und drückt. Der Fall ist wahr, ja häufig, fast typisch.
Aber ihn zu einer drohenden Tendenz, zu einer dröhnenden Anklage
gegen die Gesetze stempeln, welche die Trennung erschweren, heisst
völlig übersehen, dass doch im letzten Grunde die Ehe als Schutz
der Frau gedacht, dass der beweglichere, unruhigere Theil der Mann
und dass die schwere Lösbarkeit des Gattenthums im Interesse der Frau
und gegen den Mann normirt ist. Dem grundgescheidten Ludwig
Fulda kann das nun nicht entgangen sein. Wenn er gleichwohl für
diese Idee zum Kampfe schritt, so that er es, weil ihm auch nicht
entging, dass sich den Emancipationsbestrebungen jetzt immer neue
Kreise öffneten und dass dem Thema weite, starke Sympathien winkten.
Er that es in sichrer Siegerwartung, und sein scharfer Blick hat ihn
da wirklich nicht getäuscht. Denn das steht fest: nicht der gerundeten
Darstellung — man hat schon bessere gesehen — nicht der geschickten
Mache — man hat schon klügere geschaut — sondern dem Publicum
selbst ist dieser Sieg vor Allem zu verdanken. Auf den Gallerien, im
Parquet, in den Logen, überall im ganzen Hause sassen sie geschmückt
und schlank und bleich umher, diese unverstandenen jungen Frauen,
und blicken verschreckt und verstört auf die Bühne. Aber ihre Rührung
drang nicht von der Rampe, nahm ihren Ausgang nicht vom Stücke,
sie entsprang der eigenen Wuth, dem eigenen Weh, den eigenen
Gedanken; und Fulda gebührt nichts als der doch sicher sehr be-
scheidne Ruhm, diese tristen Ideenassociationen neu angeregt und
ausgelöst zu haben. — — —
Im Gegensatz zu Ludwig Fulda ist Alexander Engel ein neuer
Mann. Zum erstenmal Hess er mit seinem Schwank »Das liebe Geld«
sich von der Bühne aus vernehmen. O gewiss! Die Meisterposse, die
wir erwarten, hat er mit diesem Stück nicht geschaffen. Die müsste
Charakter-, dürfte nicht Schicksalskomödie sein. Die Zufälle des Lebens,
sie haben in der neuen Kunst keinen Raum. Aus dem Wesen der Be-
theiligten, aus ihren Contrasten und Zusammenstössen muss im Scham-
spiel wie im Schwanke die Handlung sich ergeben; alles Andere ist
Surrogat. Doch mag man in diesem speciellen Fall sein Urtheil mässigen
und dämpfen. Herr Alexander Engel hat hier den Milderungsgrund
für sich, dass der Zufall, den er rief, höchst geistreich und ironisch,
ja fast satyrisch ist.
Eine reiche Frau sucht ihres künftigen Schwiegersohnes Liebe
misstrauisch zu erproben, indem sie plötzliche Verarmung heuchelt. Aber
in demselben Momente ist sie auch wirklich verarmt, da ihre Banquiers
fallirten. — Man muss nun laut bekennen, dass der Verfasser den ob-
erwähnten Fehler: »Zufall« klug benützte, um die verschiedene Wirkung
des Schlages auf die verschiednen Charaktere in feiner, geschmack-
voller und unaufdringlicher Weise aufzuzeigen. Der leichte Sohn
bleibt heiter wie zuvor, die Tochter, die liebt, fügt sich mit einer
leisen Nuance von Trauer gleichfalls in das Schicksal, und nur die
Mutter, die »am Golde hängt, zum Golde drängt«, blickt trübe, ver-
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 10, S. 396, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-10_n0396.html)