Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 11, S. 414
Text
»Nach Ewigkeit begehrst du vergebens;
Der Name, die That ist die Summe des Lebens.«
Das hat ihnen Jacobsen in seinen Gedichten trauervoll zugerufen,
er, der sie geliebt hat, weil sie ein Stück seines eigenen Lebens ge-
wesen. Er hat ihre Leiden notirt mit jenen Noten, bei denen das Herz-
blut fliesst; er hatte seine Zeit schildern wollen, und es ist ein Buch
der Ewigkeit geworden, ein Stück jener grossen Kunst, die nur die
Sonntagskinder prägen können, bei denen sich das eigene Glück ver-
spätet.
Mit ihm hat noch ein anderer Romantiker des Wortes gelebt:
Victor Hugo; aber seine Sätze waren parfumirt und hatten nicht den
echten Duft. Es waren Worte, die lange Traditionen hatten; Declamationen,
für den Auslagekasten bestimmt. Sie waren prachtvoll, und eine ganze
Generation drapirte sich in wilden Posen mit ihrem Purpur. Und jetzt
sind sie verschossen und altmodisch. Jacobsen hat eine Tradition des
Styls geschaffen, jene Tradition, die ewig bleibt und sich verjüngt. Mit
ihm beginnt in den skandinavischen Literaturen jener vornehme Cultus
des Wortes, vor dessen Adel wir jetzt den Hut ziehen müssen. Er
verjüngte auch unsere deutsche Literatur. Und seit damals feiern wir
die Auferstehung der Sprache, wie in der Malerei die Auferstehung der
Farbe jetzt gefeiert wird. Das ist Jacobsen’s Verdienst, aber er selbst
hat seinen Schatz nicht ausgegeben; in seinen Werken liegen die blanken
Goldmünzen da, unabgenützt und leuchtend, wie aus erster Prägung.
Und mit und nach ihm sind der Literatur neue Dichter erstanden;
eine andere Zeit hatte sie geformt, deren Winde schärfer wehten
und die sehnigere Arme verlangte für die grosse Arbeit des dahin-
eilenden Jahrhunderts. Und so sind sie unermüdliche Arbeiter geworden
vom Schlage der Zola; Auctionäre der Wahrheit mit harten, idealen
Forderungen von der Art Ibsen’s; Grübler, die in die dunkelsten Ab-
gründe der Psyche ihr Auge bohrten vom Schlage der Dostojewski und
Bourget und edle Messiasse à la Tolstoj, die Liebe predigen der ent-
nüchterten Zeit. Jacobsen war der letzte Märchenerzähler unserer
Kindheitstage; er hat uns das Leben lieben gelehrt, selbst in den
jours gris unseres Schicksals, und darum klingen uns seine Melodien
süss und vertraut wie Wiegenlieder, wie wundersame Töne der Meeres-
wellen, die an harte, schroffe Ufer schlagen.
Diese Gefühle haben wir auch bei seiner Lyrik, die uns zum
erstenmal in unserer lieben Muttersprache vorliegt. Aber braucht
Jacobsen erst eines besonderen Gedichtbuches, er, der einen neuen
Lyrismus in die Prosa gebracht, die Gefühle befreite und aus todten
Dingen Stimmungen hervorlockte wie der Frühling das grüne Laub
den kahlen Sträuchern? Doch es reizt uns da, seiner persönlichsten
Note nachzuspüren, der Weltanschauung, die aus dem Tag und aus
der Minute floss. Wenn er in seiner Prosa vielleicht eine Maske trug,
hier musste er uns doch sein wahres Wesen geben. Aber er hat keine
Maske getragen; er hat nur die eine Pose gehabt, die ihm das Leben
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 11, S. 414, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-11_n0414.html)