Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 12, S. 472
Text
servente, dem Cicisbeo, fiel die wahrscheinlich nicht allzu leichte
Aufgabe zu, durch geistreiches Plaudern seine Herrin über diese un-
angenehme Zeit hinwegzutäuschen. Das Cicisbeat, eine von Genua nach
Venedig verpflanzte Institution, war zum nothwendigen Uebel ge-
worden.
Jede Patricierin musste ihren Cavaliere servente haben, so gut
wie ein Armband oder die Chocolade zum Frühstück. Manche hatte
sogar mehrere Cicisbei, die dann einander im Dienste ablösten. Le
cicisbée — berichtete Lalande — n’est jamais un amant, que la jeune
mariée se soit destinée d’avance, c’est très souvent un homme, pour
qui elle a peu de goût, et qui l’accompagne par décence Kurz vor
dem Pranzo (oft die einzige Stunde, welche die Gatten gemeinsam ver-
brachten) entfernte sich der Cicisbeo, um sich gleich nachher wieder
pünktlich zu melden. Und nun wich er nicht mehr von seiner Ge-
bieterin; erst spät Abends brachte er dem Gatten das ihm anvertraute
kostbare Gut zurück. Er begleitete die Patricierin wohin sie gehen
mochte, zum Corso, ins Theater oder in Gesellschaften, dort stand der
Cavaliere wie ein Paladin neben dem Fauteuil seiner Dame, fort-
während leise Galanterien flüsternd. Das mag den Gentildonne, welche
Abwechslung geliebt hätten, oft langweilig geworden sein, denn in
einem anonymen Aufsatz über das Cicisbeat heisst es »in der
That, auch wir Frauen werden müde, wenn wir einen Mann immer
auf den Knien sehen, und der Gewissensbisse empfindet, wenn er nicht
pünktlich den kleinsten unserer verliebten Launen gehorcht « Das
»verliebt« braucht man kaum wörtlich nehmen. Mochte der Cicisbeo
bisweilen auch der Geliebte sein, von der Leidenschaft, welche manche
Liebe der Renaissance durchgluthete, war das XVIII. Jahrhundert frei.
Man liebte mehr und in Folge dessen harmloser und schlechter als
Bianca Capello und Gaspara Stampa, und der Abbate Chiari durfte
wohl spotten: »Die heutige Liebe ist keine Leidenschaft, sondern Ge-
wohnheit.«
Im Herbst, wenn die Tage glitzernder werden und stiller, da
verliess jene Gesellschaft, die man heute toute Venise nennen möchte,
die keuchende, enge Stadt und zog aufs Land in die Villen. Mehr als
130 solcher Palazzi umrahmten die Ufer der hellen Brenta, krönten
die Hügel der Mark Treviso, der fröhlichen Mark, wie alte Lieder sie
heissen. Aus jenen Villen schufen Tiepolo und seine Schüler lachende
Tempel koketter Schönheit. In ihren weiten Sälen, deren fürstlicher
Einrichtung sogar japanische Nippes nicht fehlten, tanzte man graziöse
Gavotten, und die neckische Feierlichkeit des Menuetts, oder die Hof-
narren der modernen Cultur, die Dichter, amusirten durch galante
Novellen.
Bei Tage, wenn Alles schlief oder in den falben Wäldern jagte,
da umarmte in einer rosenumleuchteten Nische des stylisirten Parkes
ein Senator auf Ferien seine gefällige Freundin, und Niemand sieht es,
nur Aphroditens weisses Marmorbild lächelt verzeihend hinter der
Laube hervor, Niemand hört es, denn der Liebenden trunkenes
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 12, S. 472, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-12_n0472.html)