Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 13, S. 483
Text
von allen Seiten hörte man Lachen, Sprechen und das Zuschlagen von
Gartenthüren
Die vorübergehenden Soldaten salutirten den Officieren, die
Gymnasiasten grüssten Nikitin, und offenbar war der Anblick der Ca-
valcade all diesen zur Musik eilenden Spaziergängern höchst sym-
pathisch.
Man war schon ausserhalb der Stadt und ritt im Trab längs
der grossen Strasse Hier duftete es noch mehr nach Akazien und
Flieder, man hörte keine Musik, dafür spürte man den Feldgeruch, es
grünte der junge Roggen und Weizen, die Feldmäuse quiekten und
die Dohlen krähten. Wohin man auch blickte, überall war es grün,
nur hie und da schimmerten die schwarzen Melonenfelder, und weit
links vom Friedhof aus erstreckte sich weissleuchtend ein Strich ver-
blühender Apfelbäume.
Man kam an den Schlachthäusern vorbei, dann an einer Bier-
brauerei, überholte eine Musikcapelle, die in einen Vorstadtgarten eilte.
»Poliansky hat ein sehr schönes Pferd, ich bestreite es nicht,« sagte
Manioussia zu Nikitin, mit den Augen den Officier bezeichnend, der
neben Marja ritt. »Aber es ist ein ausgemustertes. Dieser weisse Fleck
am linken Fuss ist schon gar nicht am Platze. Sehen Sie doch, wie
es den Kopf zurückwirft. Jetzt kann man’s dem Thiere nicht mehr
abgewöhnen, das wird den Kopf zurückwerfen, bis es hin ist.«
Manioussia war eine ebenso leidenschaftliche Pferdeliebhaberin
wie ihr Vater. Sie litt, wenn sie bei Jemand ein schönes Pferd sah,
und war froh, an fremden Pferden Fehler zu entdecken. Nikitin aber
verstand von diesen Sachen nichts, ihm war es einerlei, das Pferd am
Zügel oder Mundstück laufen zu lassen, im Galopp oder Trab zu
reiten; er fühlte bloss, dass seine Haltung unnatürlich und gezwungen
war, und dass deshalb die Officiere, die so gut im Sattel sassen,
Manioussia mehr gefallen müssten als er; darum war er auf die Officiere
eifersüchtig.
Als man am Vorstadtgarten vorbeiritt, schlug Jemand von der
Gesellschaft vor, da einzukehren und Sodawasser zu trinken. Man
kehrte ein. Im Garten wuchsen nur Eichen, die erst unlängst auszu-
schlagen anfingen, so dass man jetzt durch das junge Laub den ganzen
Garten übersah mit dem Musikpodium, mit den Tischchen, der
Schaukel und all den Ratennestern, die sich wie grosse Mützen
machten. Die Reiter und ihre Damen setzten sich an ein Tischchen
und bestellten Sodawasser. Ein paar Bekannte, die im Garten spazierten,
kamen auf sie zu. Auch ein Militärarzt in Reitstiefeln und der Capell-
meister, der auf seine Musikanten wartete, sprachen sie an. Wahr-
scheinlich hielt der Doctor Nikitin für einen Studenten, denn er
fragte ihn:
»Sie sind wohl über die Ferien da?«
»Nein, ich wohne dauernd hier « antwortete Nikitin, »ich bin
Lehrer am Gymnasium.«
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 13, S. 483, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-13_n0483.html)