Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 13, S. 503
Gegen die Emancipation des Weibes (Weisengrün, Dr. Paul)
Text
Von Dr. Paul Weisengrün (Wien).
III.
Die beiden vorangegangenen Aufsätze haben, glaube ich, zur
Genüge erwiesen, dass in der Frage der Frauenemancipation hinter den
wirthschaftlichen Triebkräften psychologische liegen. Das Problem
von der eigentlichen inneren, nur social verschleierten Selbstständigkeit
und Selbstherrlichkeit des Weibes ist voll von subtilen Seelenräthseln.
Hier ist der Eingriff anderer, also rein socialer Factoren eigentlich
etwas Selbstverständliches. Trotzdem aber finden sich Anhänger der
Emancipation genug, welche auch in dieser Beziehung das Vorwalten
ökonomischer Ursachen zu betonen sich bemüssigen.
Einen neuen und eigenartigen Gesichtspunkt nimmt hier bezeich-
nenderweise ein Weib ein. Frau Laura Marholm glaubt am aller-
wenigsten unter all denen, die sich in dieser Frage geäussert, an die
innere Selbstherrlichkeit des Weibes. Sie ist nicht der Ansicht der
meisten Frauenrechtlerinnen, dass, psychologisch gesprochen, das Weib
vom Manne unabhängig sei und dass bloss sociale Ursachen sie zur
»Geschlechtssclaverei« zwängen. »Im Manne beginnt das Leben des
Weibes, im Manne beschliesst es sich. Des Weibes Inhalt ist der Mann.«
An anderer Stelle wird Frau Marholm noch deutlicher. Sie verräth,
dass das Gefühlsleben des Weibes, die ganze Art seines inneren Aus-
lebens, seine intellectuellen Methoden und Feinheiten, die Summe seines
Denkvermögens — mit einem Wort der ganze Styl seiner Lebensführung
vor der Berührung mit dem Manne ein ganz anderer ist als späterhin.
Das eigentliche Geschlechtsleben, also der Geschlechtsgenuss und seine
directe Folge, das Gebären, revolutioniren das geistige Leben des
Weibes derart, dass man wohl den Satz aufstellen kann: Die
Be-
rührung
des Mannes verändert den Geist des Weibes
noch mehr als seinen Körper.
Was ist nun das Weib? Erst jüngst hat sich eine Frau dagegen
verwahrt, dass man ihm alles mögliche Räthselhafte andichte. Das
Weib, meint sie, ist weder ein Thier noch eine Halbgöttin, sondern
vor Allem ein Mensch 1) Eine Frau hat da leicht reden. Sie ver-
steht das erkenntniss-theoretische Problem, das die Frauenfrage, theo-
retisch gesprochen, für uns bedeutet, nicht im Geringsten. Wir fühlen
und denken als Männer und wollen das Innere des
Weibes erkennen, das eben anders denkt und fühlt. Hier
1) »Das Weib als Geschlechtsindividualität.« Von Frieda Freiin von Bülow.
»Die Zukunft«, V. Jahrg., Nr. 26, S. 597.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 13, S. 503, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-13_n0503.html)