Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 13, S. 505

Gegen die Emancipation des Weibes (Weisengrün, Dr. Paul)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 13, S. 505

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GEGEN DIE EMANCIPATION DES WEIBES. 505

auch in dieser Frage der Mechanismus der ökonomischen Umwälzung
Alles besorge und dass hier überhaupt kein Problem vorliege. Wie
falsch diese Grundaufstellung auch immerhin sein mag, sie geht auf
jeden Fall von der Thatsache aus, dass alles Seelenleben des Weibes
(wie rudimentär, grobmechanisch und plump die Anhänger dieses Prin-
cipes jenes Seelenleben auch ansehen) sich vollkommen sicher, zwanglos,
einwandsfrei und geradlinig aufbaue auf ihrer geschlechtlichen Natur.
Was wird aber über diese geschlechtliche Natur des Weibes von Seite
der Anhänger und Anhängerinnen der gewöhnlichen Auffassung aus-
gesagt? Nichts oder so gut wie nichts.

In denselben Grundfehler des directen Aufbaues der Frauen-
psychologie auf den unbekannten Daten des Geschlechtslebens verfällt
auch die Lehre eines Mannes, der, wie in allen übrigen Dingen, auch
hier die gewöhnliche Auffassung nicht theilt.

Du gehst zum Weibe — vergiss die Peitsche nicht! Nietzsche
hat durch diese Worte einen älteren philosophischen Gesichtspunkt in
der Frauenfrage in eine glänzende, aber einseitige Formel gebracht.
Niemals wurde in so treffender Form das Anderssein, die Minder-
werthigkeit des Weibes, ihre Abhängigkeit vom Manne zum Ausdruck
gebracht. Aber Nietzsche hat in diesem Falle, wie in vielen anderen,
ein Ressentiment, eine dunkle und dumpfe Forderung seines Instincts,
eine kaum ernst zu nehmende seelische Abneigung mit der ganzen
raffinirten Sicherheit des Décadents malgré lui in ein System zu bringen
versucht. Alles, was Nietzsche sonst sagt, seine Ansicht z. B., dass bei den
Frauenrechtlerinnen meist etwas in ihrer Weiblichkeit nicht in Ordnung
sei, offenbart uns deutlich, wie sehr auch ihm die zum grossen Theile
unbekannte Domäne des weiblichen Geschlechtslebens als Basis zum
Aufbau seiner Frauenpsychologie dienen musste.

Noch klarer, Jedermann sichtbar, tritt dies, wie wir schon er-
wähnt, bei Frau Laura Marholm zu Tage. Sie knüpft an das gynäko-
lopische Material Prof. Runge’s, an die rein physischen Leiden des
Weibes an. Sie untersucht die bedeutendsten Frauen ihrer Zeit und
findet dieselbe Krankheit, die die durchschnittlich begabten Geschlechts-
genossinnen auch haben. Die sechs Frauenporträts der Marholm sind
eigentlich, mit der einzigen Ausnahme der durchaus gesunden Anna
Skram, Biographien geschlechtlich Leidender »psychologie d’hysté-
riques«.

Sehr richtig hat sich eine geistreiche Frauenrechtlerin über Frau
Marholm geäussert, sie sehe in der Frau nur das »Weibchen«. Weibchen-
Erotik ist bis jetzt aber alle Psychologie der Frau gewesen, nur dass
die der Marholm, weil sie Weib und starker Geist zugleich ist, besonders
geschickt ausfiel. Gegen die Nur-Weibchen-Psychologie wende
ich mich eben. Ich habe durch meine erkenntniss-theoretische Behandlung
gezeigt, warum man auf dieser einseitigen, nur erotischen Basis kein
psychologisches Gebäude errichten darf

Ich will nun mit Folgendem versuchen, einen Abriss der Frauen-
psychologie in der Weise zu geben, dass das Geschlechtsmoment überall

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 13, S. 505, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-13_n0505.html)