Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 13, S. 507

Gegen die Emancipation des Weibes (Weisengrün, Dr. Paul)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 13, S. 507

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GEGEN DIE EMANCIPATION DES WEIBES. 507

daher in den Aeusserungsformen des Wollens und Strebens eine noch
grössere Gleichheit hervor. Die gewaltigen Leidenschaften in den Re-
gionen der Herrschsucht und der Machterweiterung brachten auch
gewaltige Weibpersönlichkeiten an die Oberfläche, und in keiner Epoche
finden wir so viele glänzende Frauengestalten wie in der englischen
und vor Allem der italienischen Renaissance. Man denke an Elisabeth,
Catharina Sforza, Vittoria Colonna u. s. w. Hat aber jemals diese
Gleichheit der Cultur, die das Wollen und das Machtbewusstsein des
Weibes revolutionirten, auch sein Denken revolutionirt? Wie gross ist
in der Renaissanceperiode der Einfluss der Frau in der Politik und
wie klein auf allen Gebieten eigentlicher Culturarbeit! Woher kommt
dieser Unterschied?

Verschieden vom Wollen ist das Denken des Weibes. Man spricht
so häufig von der Unlogik der Frau. Ich halte diese Unlogik nicht
einmal für das Charakteristische. Es hat bedeutende Mathematiker
unter den Frauen gegeben, also auch bedeutende Logiker. Aber allen
Frauen gemeinsam, den höchst begabten wie den mittleren, ist die
ganze Form des Denkens. Das Weib besitzt ein anderes Sehenkönnen,
ein anderes geistiges Auffassen der Dinge. Man denke an die be-
gabteste Frau unseres Jahrhunderts, an Sonja Kowalewska; sie ist
geniale Mathematikerin, talentvolle Novellistin, sie kennt den Socialismus
und die moderne Socialpolitik fast wie ein Professor der National-
ökonomie. Sie ist ein originelles und productives Weib, das erlebt und
nach Erlebnissen dürstet. Wie krystallisiren sich aber rein intellectuell
diese Erlebnisse, welche Verallgemeinerungen zieht sie aus ihren
subjectiven Erfahrungen? Fast gar keine. Sie bleibt ausserhalb ihrer
Mathematik, gewisser socialistischer Gemeinplätze und ausserhalb jenes
Theils ihres Denkens, das förmlich durchtränkt ist von Empfindungen,
ganz subjectiv. Sie denkt nur ihretwillen. Sie denkt eigentlich genau wie
jedes mittelmässige Mädchen nur nach, um einen Mann zu bekommen.
Ihr Wollen ist fast so gewaltig wie ihre specifischen Fähigkeiten.
Aber der Styl ihrer Lebensführung ist ein kläglicher und ihre Philo-
sophie blosse Empfindungsanalyse oder Trivialitätensammlung. Sie
kommt aus ihren Erlebnissen nicht heraus, sie kommt geistig vom
Manne nicht weg. Ich verstehe nun, warum das Weib Mathematik
treiben kann. Auf diesem abstractesten, unpersönlichsten aller wissen-
schaftlichen Gebiete gibt es keinen Druck der Erlebnisse auszuhalten.
Hier kann die Macht der Eindrücke die Fülle der Anschaulichkeit
nicht verdunkeln und bezwingen. Zahlen, Zeit und Raum das sind die
Realien des Mathematikers. Er operirt mit so wenig Dingen und wird
deshalb so wenig abgezogen. Die Methodik ist hier nicht complexer
Natur, darum kann in dieser Stickluft für erlesene Geister die Frau so
gut aushalten. Selbst das genialste Weib, wie erfinderisch im Nuanciren,
wie stark in subjectiver Empfindung es auch sein mag, so schwach und
dürftig ist es im Auffinden grosser Formeln, so beschränkt im allge-
meinen Denken. Das macht, dass das Weib nicht nach gewaltigen
Höhen und Tiefen blicken kann, sondern immer gerade vor sich. Sie

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 13, S. 507, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-13_n0507.html)