Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 578

Das Erwachen der Seele Spiel (Maeterlinck, MauriceBodman, Emanuel von)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 578

Text

578 MAETERLINCK.

Perioden, von denen ich sprach. Man fühlt von allen Seiten, dass die
Beziehungen des gewöhnlichen Lebens sich zu ändern beginnen, und
die Allerjüngsten unter uns sprechen und handeln schon ganz anders
als die Männer der vorhergegangenen Generation. Eine Menge von
unnützen Vorurtheilen, Gebräuchen, Schleiern und Zwischenwänden
fallen in den Abgrund, und wir Alle fast, ohne es zu wissen, beur-
theilen uns nur mehr nach dem Unsichtbaren. Wenn ich zum ersten-
male in dein Zimmer trete, wirst du nicht nach den tiefsten Gesetzen
der praktischen Psychologie die geheime Phrase aussprechen, die jeder
Mensch ausspricht in Gegenwart eines Menschen. Du wirst nicht dazu
gelangen, mir zu sagen, wohin du gegangen bist, um zu wissen, wer
ich bin, aber du wirst wiederkommen, beladen mit dem Ge-
wichte unsäglicher Sicherheiten. Dein Vater hätte mich vielleicht anders
beurtheilt und sich geirrt. »Haben wir,« wie Claude de Saint-Martin,
der grosse, »unbekannte Philosoph«, sagt, »haben wir einen Schritt
mehr gethan auf der belehrenden und lichterfüllten Strasse der Einfach-
heit der Wesen?« Lasst uns schweigend warten; vielleicht werden wir
binnen Kurzem »das Murmeln der Götter« hören.


SPIEL.

Dass ich manchmal deine weiche Seele
Tief mit Blicken, tief mit Worten ritze,
Um sie später wieder heil zu küssen:

Sieh, du musst mein wildes Blut begreifen!

Denn ich liebe es, ins offne Meer
Hoch den Apfel meines Glücks zu werfen,
Um ihn, jubelnd, wieder zu erschwimmen.

München. Emanuel v. Bodman.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 578, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-15_n0578.html)