Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 588
Die wahre Bashkirtscheff (Strauss, Rudolf)
Text
Ruhm « wenn man das hört, dann wird einem klar, was diese Seele
ganz erfüllte und was sie trieb und was sie stachelte. Nicht ein
Sehnen nach Liebe war ihr Sinnen, sondern ein stummer, gewaltiger,
hungriger Schrei nach Grösse, nach Glanz und nach Ruhm. Man könnte
diese Sucht zur Macht fast Schritt für Schritt bei ihr verfolgen, zeigen, wie
sie klein und schmal entstand, dann immer grösser, immer grösser
wurde, wuchs und wuchs und stieg und schwoll, bis sie den ganzen
blonden Mädchenkopf geradezu mit der verwüstenden Wucht einer
süssen Monomanie berauschte. Als sie sie erst als Sängerin zu stillen
suchte, da ward sie kehlkopfkrank und büsste ihre Stimme ein. Als sie
sich dann mit aller Macht, geradezu vor Eifer glühend dem Malen voll
ergab, da kam ein harter junger Tod und riss sie rauh aus allem
Streben. Erst die selbstgeschriebene Geschichte ihrer Leiden, ihrer
tristen Thränen, das sorgsam geführte Journal ihrer Enttäuschungen
und ihrer Erfolglosigkeiten, erst das hat ihr durch eine bittre Ironie
des Schicksals nach ihrem Tod den grossen, mächtigen Erfolg, den
Sieg, den Namen, die Unsterblichkeit gewonnen.
Maria Bashkirtscheff war erblich mit Schwindsucht belastet; allein
die Krise hätte nach der Aerzte Ausspruch nicht diesen raschen
und rapiden Lauf genommen, hätte die Kranke sich nur etwas doch
geschont. Sie aber kannte in ihrem Ehrgeiz, dem auch das Beste nicht
genügte und der an ihre Kraft und an ihr Können immer erhöhte,
immer grausamere Ansprüche stellte, kein Rasten und kein Ruhn und
arbeitete selbstmörderisch weiter, bis sie dann endlich jung und schön
eines sonnigen Tages lautlos verstarb. An ihrem Ehrgeiz hat sie sich
verblutet, an ihrem Stolz, der sich die höchsten Ziele steckte und der
verzweifelte, sie jemals zu erreichen, an ihren ungestillten, ungestümen
Wünschen. So war es nicht der ungemein banale Trieb zur Liebe, der
diese Ausnahmsfrau so früh getödtet, sondern das harte, wilde, echt
decadente Ringen, das währt, solang es Künstlermenschen gibt, das
Ringen zwischen Plan und That, das Ringen zwischen Wollen und
Können.
Der Bashkirtscheff ganzes Sein — ihr Journal beweist es — war
nur ein bunter, schillernder, ein böser und ein guter Künstlertraum.
Dass uns Frau Marholm diese holde Meinung raubte, zumindest
rauben wollte, das war nicht ehrlich oder war nicht klug. Maria
ward im Leben oft genug gelästert und verkannt, so mag sie wenigstens
im Tod ein inniges, ein liebendes Verständniss finden.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 588, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-15_n0588.html)