Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 587
Die wahre Bashkirtscheff (Strauss, Rudolf)
Text
übersetzen suchte, da liess sie sich zu einem grossen, argen, zu einem
gewaltigen Fehler verleiten, indem sie an den Ausnahmsfrauen zu er-
weisen strebte, was nur für Alltagsfrauen galt und auch für diese nur
gedacht war, das Ueberweib mit diesem kleinen Mass der Heerdenfrau
bemass und dann von jenen Grossen blindlings wieder auf die Zwerge
schloss. In diesem zügellosen Verallgemeinern, das die absolute Uni-
formität der weiblichen Psyche voraussetzt, das jede Ausnahme leugnet
und jede Weib-Individualität verneint, in ihm liegt der verhängniss-
volle Grundirrthum der Marholm’schen Frauenpsychologie, der es allein
verständlich macht, weshalb sie räthselhafterweise die Unmöglichkeit
der Emancipation gerade an den schon Emancipirten klarzulegen
unternahm.
Ich bin gewiss ein Feind der Emancipation, aber ich bin auch
ein Freund, ein warmer Freund der Emancipirten selbst. Wenn ich
die Frauenschaft im Allgemeinen der Emancipation wohl kaum für
fähig halte, so beug’ ich willig doch mein Knie vor jenen wenigen
erlauchten Frauen, die durch ihr Thun uns laut bekundet, dass sie die
Macht und Majestät der starken, königlichen Geister haben. Zu diesen
holden, blassen Prinzessinnen aus Genieland hat auch Maria Bashkir-
tscheff gehört. Das Glück, von dem sie träumte, war nicht das fahle
Glück der Heerdenfrau. Dies blasse Kind war nicht, wie uns Frau
Marholm glauben machen möchte, an ungestilltem Liebessehnen jäh
zugrundgegangen, die Wuth der Sinne hat sie nicht zerstört. Was ihre
Wangen bleich und ihre Lippen blutlos machte, was ihren Körper
brach und wild an ihrer Seele riss, das war ein andrer grimmer, ein
mörderischer Kampf, für den Frau Marholm sichtbar nicht das nöthige
Verständniss findet.
Sie hätte sonst unmöglich bei einzelnen ganz ausnahmsweisen
Bemerkungen Maria Bashkirtscheff’s verweilen, sie hätte ihnen sonst
unmöglich diese weite und grosse Bedeutung beimessen können, die
sie thatsächlich niemals besassen. »Ich habe den Körper einer Göttin
à quoi bon? wenn mich keiner liebt?« hat Maria einmal gesagt. Aber
das war nicht der schwüle Wunsch zu lieben, sondern der innige, ge-
liebt zu werden: die glühe Sehnsucht nicht allein der Frauen, sondern
auch und mehr noch der Künstler.
Wenn man weiss, dass die Bashkirtscheff Jahre hindurch zumeist
von 8 Uhr Früh bis 2 Uhr Nachts fast ohne Unterbrechung las,
zeichnete, malte, modellirte, schrieb, wenn man aus ihrem Munde
Worte hört, wie diese: »Ganze Nächte kann ich bei dem Gedanken
an ein Bild oder eine Statue schlaflos verbringen; nie hat der Ge-
danke an einen hübschen Herrn dasselbe bewirkt.« »Ich hasse mich,
weil ich mich in mir selbst getäuscht.« »Ich muss berühmt werden,
ich muss, ich muss.« »Ich liebe die Treppen, weil man auf ihnen auf-
wärtssteigt.« »Beim Beginn des neuen Jahres, genau um Mitternacht
habe ich im Theater mit der Uhr in der Hand einen Wunsch in ein
einziges Wort gepresst, in ein Wort, das schön, sonor, herrlich, be-
rauschend ist, ob man es schreibt oder spricht. Dies Wort heisst:
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 587, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-15_n0587.html)