Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 586
Die wahre Bashkirtscheff (Strauss, Rudolf)
Text
dieses junge Kind empfinden konnte? Ich glaube nicht. Dann lernte
sie zu Rom einen italienischen Fürsten kennen, der ihre schlichtere
Cousine Dina heiss verehrte und der für reich und äusserst angesehen
galt. Mit ihm verbanden sie intimere Beziehungen, die fast zu einer
Ehe führten. Doch wieder muss ich hier die Frage stellen: War es die
echte, die sinnliche Liebe, die sie zu diesem Manne trieb? Und wieder
muss ich laut verneinen. Maria Bashkirtscheff selbst behauptet, nur die
phantastische Lust, einen Roman zu erleben, habe sie diesem Manne
genähert. In Wirklichkeit war es vielleicht noch der heimliche Wunsch,
die stillre Schönheit Dina’s in den Hintergrund zu drängen, vielleicht
auch, sie deutet es an, die lockende Aussicht auf eine stolze und
schimmernde Höhe der Lebensführung Der Dritte endlich, der ihr
etwas wurde, war Bastien-Lepage, der Maler. Hier stand sie unter
der mächtigen Suggestion eines grossen, berühmten Namens; was sie
ihm gütig und ergeben machte und was bewirkte, dass sie ihn während
seines Krankseins hie und da besuchte, das war Bewunderung, Mitleid,
nicht Liebe.
Dies also sind die drei »Geschlechtserlebnisse« der Bashkirtscheff.
Dass sie nicht viel bedeuteten, dass sie nicht tiefer an die Seele griffen,
und dass sie insbesondre nicht im Weibinstinct der Künstlerin be-
gründet waren, das geht wohl auch aus diesen kärglichen Notizen ge-
nügend schon hervor. Aber selbst wenn man annimmt, dass das Ver-
hältniss mit dem schlanken Römer oder mit Bastien-Lepage ein tieferes
gewesen, dass sie es schwer nur überwand, selbst dann ist nicht er-
sichtlich, was sich daraus denn folgern liesse? Frau Marholm will be-
weisen, dass geistiges Schaffen die Frau für die Dauer der Zeit nicht
völlig erfüllt, dass es sie unbefriedigt, sehnend, ja glücklos entlässt.
Aber was kann damit gegen die Künstlerschaft des Weibes gesagt
sein? Kennt denn Frau Marholm die männliche Künstlerpsyche so
genau, dass sie behaupten dürfte, diese sei den Stürmen der Sinne,
ihrem Wühlen und Drängen völlig entrückt und allem Taumel der
Leidenschaft entzogen? Schreitet der Mann, der Künstler, etwa heiter
und wonnig lächelnd, von keinem Sturm und keinem Wüthen des
Lebens berührt, im weissen Unschuldskleid der Freude selig über die
Gefilde? Die Seele des werdenden Künstlers, sei er nun Mann,
sei er Weib, sie gleicht der eisernen Casse, die voll, aber versperrt ist,
und deren Schlüssel verloren gingen. Nur der gewaltsame Einbruch des
Lebens kann sie eröffnen und alle ihre Schätze zeigen. Bei dem Einen
vollbringt das erbitterte, stürmische Liebe, ein süsser, wüthender Hass
bei dem Andern, bei diesem die Noth, der Ueberdruss bei Jenem,
aber bei Allen ein grosser, ein blutrother Schmerz
Frau Laura Marholm’s Weibpsychologie, man weiss es, baut sich
fast ganz auf die Franzosen auf. Bei Maupassant, gewiss bei Andern
auch, las sie es schon: La femme n’est crée et venue en ce monde
que pour deux choses, qui seules peuvent faire épanouir ses vraies, ses
grandes, ses excellentes qualités: l’amour et l’enfant. Aber als sie
diese Formel dann im »Buch der Frauen« in unser armes Deutsch zu
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 586, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-15_n0586.html)