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werden, ohne dass man ihrer müde
würde, denn es ist so viel Liebe
darin, Liebe zu einem Lande, mit
dem die Verfasserin verwachsen
ist, dessen schwermüthigen Reiz
sie hervorruft, dessen seltsame
Sitten sie in gut beobachteten
Scenen beschreibt. Das Werk ist
mit einem Vorworte von Pierre
Loti versehen, den Goncourt l’évo-
cateur des climats nennt, und in
dieser Eigenschaft ist ihm die
Fürstin verwandt. Aber es ist nicht
die berauschende Gluth orientali-
scher Nächte, die sie beschreibt.
Die sieche Schönheit der endlosen
südrussischen Steppe dient dem
Buche als Hintergrund, jene trau-
ernde Ebene, deren Vegetation
schon im Juni versengt ist, gelb
und schattenlos, nur bisweilen von
vereinzelten Windmühlen unter-
brochen. Dazwischen wälzt langsam
und träge der Bug seine silberne
Fluth, eintönig und trauernd, durch
smaragdgrünes Rohr, das allein
der Sonne Trotz beut. Doch im
Frühling ist jenem Lande eine
kurze Blüthezeit gegönnt. Fast in
einer Nacht bedeckt sich die Steppe
mit zarten, dunkelgrünen Gräsern,
Schneeglöckchen und Veilchen, und
in den Gärten der Besitzer ent-
falten an einem lauen Tage die
Fruchtbäume ihre weisse Archi-
tektur, und Flieder und Akazie
giessen ihre verwirrenden Düfte
über das Land. Zwischen einem
Winter, dessen Härte alljährlich
Leben und Besitz bedroht, und
diesem sengenden Sommer erblüht
jener duft- und farbenreiche Frühling
genug, um nicht verzweifeln zu
lassen, aber nicht hinreichend, um
jenes rauschhafte Wohlsein anderer
südlicher Länder zu erzeugen. An-
fangs waren die Ufer des Bug von
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Kosaken bewohnt, dann aber kamen
Auswanderer aller Art.
Die Traurigkeit dieser Ge-
genden ist voll Schönheit, wie doch
überall Schönheit ist, gesetzt, dass
es Augen gibt, die zu sehen ver-
mögen. Es mag wohl nicht jenes
Pathos zu finden sein, welches
Viele in den Alpen oder in Skan-
dinavien suchen, jene noch gröber
Empfindenden, die immer wieder
des Kothurns bedürfen, um erhoben
zu werden, denen die stumme
Linie nichtssagend dünkt, weil
sie schweigsam ist. Uns aber
will scheinen, als verstünden wir
ein wenig jene Reize, von denen
das Buch erzählt, wenn wir uns
der rührenden Eintönigkeit gewisser
russischer Weisen erinnern.
Viel Sorgfalt hat die Fürstin
darauf verwandt, die Menschen zu
beschreiben, die in dieser Gegend
wohnen, die Besitzer der grossen
Güter, den von westländischer Cul-
tur durchaus erfüllten Grafen Ma-
vrino sowie das groteske Innere
einer Stoudenko genannten Fa-
milie, welches wahrhaft dasjenige
darstellt, was die Deutschen eine
»polnische« Wirthschaft nennen.
Um uns die Dorfbewohner vor
Augen zu führen, bediente sich die
Verfasserin einer Liebesgeschichte,
die voll ist von merkwürdigen
Personen; da gibt es einen Popen
von rührender Grösse, ein ver-
kommenes Judenpaar, ein Mädchen,
welches von seiner Liebe bis zum
Verbrechen hingerissen wird; nicht
jener rachsüchtigen Xenia und der
beiden Väter der Liebenden zu
vergessen. In dieser Geschichte
kommen bisweilen Scenen von fast
plastischer Anschaulichkeit vor,
etwa die Leidensnacht dieser un-
glücklichen Nastia, die in nächt-
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