Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 16, S. 602
Text
sich um sie mit viel feiner Galanterie und ritterlichem Wesen. Meine
Tochter aber findet mehr Gefallen an Quintin Messis, Eurem andern
Schüler, und ihr Werk ist es, dass er zu uns ins Haus kommt. Diesen
Frühling nämlich ging sie an einem Sonntag mit ihrem Bruder Heinrich
nach Brauweiler hinaus, da fanden sie den Messis in einer Schenke voll
Bauern auf der Zither spielen. Der Aermste war zum Tod erschrocken,
dass man ihn, den Schüler der Kunst, bei solch niederm Erwerbe
betrat, und er gestand, dass er auf diese Weise seinen Unterhalt ge-
winne, um der edlen Malerei zu fröhnen. Mein Sohn, rasch und gradaus,
wie er ist, wollte stracks seine Börse voll Silber und Gold über ihn
schütten, aber Dorothea nahm ihn bei Seite und sagte mit ihrem weib-
lichen Witze: Zu schenken denkst du ihm? Sieh dich vor, Heinrich,
die Ehre ist das Visir seiner Armuth, wir haben durchgeblickt, aber
wir dürfen es nicht aufheben; er ist kein Bettler, er nimmt keine Ge-
schenke. Wollen wir ihm helfen, so weiss ich andern Rath. Lerne das
Zitherspiel von ihm! Lass’ ihn zu uns kommen, mach’ ihn unserm
Haus zum Freunde, zum Vertrauten, und wir werden auf die beste
Art für ihn thun können, was wir wollen. — Und so geschah es.
Messis ist unser Freund und kann in jedem Augenblicke mehr werden.
Ich habe die Wahl zwischen ihm und Dagobert.
Memling. Mit nichten, Herr Hildebald! Denn wenn Eure
Tochter, wie Ihr sagt, den Messis bevorzugt, so ist jede Wahl ja schon
entschieden.
Hildebald. Damit hat es seine Wege. Ihre Gleichgiltigkeit für
Dagobert ist noch nicht Abneigung, ihre Empfindung für Messis noch
nicht Leidenschaft. Genug, diese Entscheidung behalte ich mir vor.
Wie Ihr mich kennt, so seh’ ich nicht auf das irdische Gut meines
Eidams. Dagobert ist reicher Eltern Kind, Messis ein armer Fremdling.
Aber das vergess’ ich. Beide sind Jünger einer Kunst, die unsrer
Stadt Köln den höchsten Namen macht im heiligen Reich, und die
ich fast als einen halben Gottesdienst achte, da sie uns vorstellt in
worden, weil Kürnberger am October-Aufstande betheiligt war, als Emigrant im
Auslande weilte und zu jener Zeit in der Dresdener Frohnveste sich in Unter-
suchungshaft befand. Selbstverständlich konnte ihm diese Verständigung amtlich
nicht ertheilt werden.
Nach Holbein kam Heinrich Laube. Dieser sandte dem Dichter unauf-
gefordert die Hälfte des damals üblichen Honorars von 400 fl. und äusserte sich
in seinem Geleitschreiben in den ehrendsten Ausdrücken über den literarischen
Werth des Stückes. »Es ist vielleicht unzart« — so schrieb er wörtlich — »Ihnen
Schmeicheleien ins Gesicht zu sagen, aber ich finde den »Quintin Messis« voll
feiner Goethe’scher Züge.« Und doch blieb es bei der Entscheidung seines Amts-
vorgängers.
Seither sind nahezu fünfzig Jahre verflossen, der Geschmack des Publicums
hat sich gründlich verändert, und nur wenig ist geblieben von den Stücken, die
damals das Repertoire des Tages beherrschten. Wenn wir es trotzdem unter-
nehmen, den Lesern der »Wiener Rundschau« einen Act aus dem unaufgeführt
und ungedruckt gebliebenen »Quintin Messis« mitzutheilen, so glauben wir ihnen
damit nicht nur eine willkommene Gabe zu bieten, sondern auch dem Andenken
des Wieners Ferdinand Kürnberger gerecht zu werden. L. Rosner (Wien).
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 16, S. 602, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-16_n0602.html)