Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 16, S. 604

Quintin Messis (Kürnberger, Ferdinand)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 16, S. 604

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604 KÜRNBERGER.

aus seiner Hand; er ist anzusehen wie einer, der aus einem langen
Schlafe erwacht — da dehnen und strecken sich erst noch unbeholfen
die Glieder, die Augen blicken befremdet umher — das dauert eine
Minute, dann ist das volle Bewusstsein hergestellt, und der ganze Mensch
ist fertig.

Hildebald. Sehr anschaulich drückt Ihr Euch aus. Dazu scheint
er mir auch der fleissigste Eurer Schüler.

Memling. In diesem Punkte thut er es allen zuvor. Noch ist
mir ein solcher Hunger nach Arbeit nicht vorgekommen in meinem
langen Leben. Ihr wisst, ich gehe damit um, meiner Schüler Einen zu
Wan der Weyde nach Antwerpen zu schicken, weil all meine Briefe
nichts nützen, und der Mann unbegreiflich zögert. Den Messis hatt’ ich
dazu ausersehen, und liess jüngst einige Worte darüber fallen. Herr
meiner Seele! Ihr hättet es sehen sollen, wie er blass wurde, wie seine
Hände sich an die Staffelei klammerten, wie ihm der Angstschweiss
an die Stirne trat — dem eine Minute nehmen, heisst ihm die Seele
aus dem Leibe reissen. Mein oberstes Mansard-Stübchen musst’ ich
ihm einräumen; da sitzt er und fängt den letzten Sonnenstrahl auf
und tyrannisirt seine Augen, so viel ich dagegen predige.

Hildebald. Und was haltet Ihr nun von Dagobert?

Memling. Das ist ein siedender Brausekopf ganz gegen die
stille Art des Messis. Aber wenn ihn Leidenschaft und Tollheit nicht
übermannen, so spiegelt sich der reinste Genius in seiner Hände Werk.
Wenn Messis mit gleichem, andauerndem Feuer seine Früchte zeitigt,
so ist Dagobert ein Vulcan, der viel zerstört und verwüstet; hat er
sich aber ausgetobt, dann wächst der köstlichste Wein auf dem frucht-
baren Lavaboden. — Genug, in geistigen Dingen gibt’s ein schweres
Vergleichen; ich seh’ es Euch an, dass Ihr noch immer nicht orientirt
seid, Ihr möchtet’s handgreiflicher haben; — auch dazu kann Rath
werden.

Hildebald. Wie wäre es, wenn Ihr eine Probe — eine Aufgabe
für Beide —

Memling. Getroffen! Das ist bereits auch geschehen, der Zufall
kam Eurem Wunsche zuvor. Vorgestern Abends nämlich — Ihr waret
auf einem Eurer Meierhöfe — da brachte mein Dagobert Eurer Tochter
ein Ständchen. Nach der Symphonie eilt er hinauf, seiner Dame die
Aufwartung zu machen, und findet Messis bei ihr, der Euren Sohn
Heinrich eben zum Zitherspiel erwartet. Hu, wie flogen im Nu die
Schläger heraus! Du Verräther! Du Schlange! Du falsches Krokodil!
und das regnete Terzen und Quinten — Dagobert war wie ein brül-
lender Löwe. Zum Glücke sass ich gerade im Nebenzimmer mit Herrn
van der Noot bei einem Becher. Flugs bin ich unter ihnen und wettre
die Lottergeister auseinander. Sie steckten die Klingen ein, und ich
vermochte sie zu einem edlern Wettstreit. Ich gab ihnen die Aufgabe,
das Bildniss ihrer Dame zu zeichnen oder zu malen, und wer hier den
andern überträfe, der sollte Sieger sein und das Feld behaupten.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 16, S. 604, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-16_n0604.html)