Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 16, S. 611

Die Eiche und ich Der Schwimmer (Whitman, WaltBenzmann, Hans)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 16, S. 611

Text

DIE EICHE UND ICH. 611

die Schelling und Fichte so gerne betonen. Wie es kommt, weiss ich
nicht, aber hier empfinde ich oft eine Gegenwart, in klaren Stimmungen
wird sie mir zur vollen Gewissheit, und weder Chemie noch Raisonne-
ments noch Aesthetik werden die mindeste Aufklärung hierüber geben.
Während der beiden vergangenen Sommer hat sie mir den kranken
Leib und die kranke Seele gestärkt und genährt wie nie zuvor. Hab’
Dank, du unsichtbarer Arzt, für deine geheimen süssen Arzneien, für
Tag und Nacht, dein Wasser, deine Lüfte, für Ufer, Gras und Bäume,
ja für das Unkraut selbst.


DER SCHWIMMER.

Auf sturmbewegtem Meere rang
Ein Schwimmer mit den gierigen Wellen,
So oft er in die Tiefe sank,
Hob ihn der Wogen wildes Schwellen.

Aus seinem Auge stierte Qual,
Umflort von Gischt und Schaumesfetzen,
Irrt wie ein blutiger Sonnenstrahl
Die Hoffnung über das Entsetzen

Er liess sich treiben, rang und hob
Sich immer wieder aus den Wogen, —
Bis endlich ihn die Welle schob
Auf eine Küste sturmentzogen

Er sah noch, wie das Abendroth
Sanft spielte über Kies und Scherben,
Wie ihm das Glück die Lippen bot —
Da musste der Erschöpfte sterben

Berlin. Hans Benzmann.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 16, S. 611, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-16_n0611.html)