Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 17, S. 647
Text
Messis. Wie sprecht Ihr denn, Meister? Ich versteh’ Euch nicht.
Memling. Ja doch! Ihr wisst noch nicht, was zwischen mir
und Hildebald vorgekommen in Ansehung Eurer. Hört es denn kurz:
Es ist Euch bekannt, Herr Werner unternimmt nächstens eine weite,
vielleicht mehrjährige Reise. Als ein besonnener Mann dachte er darauf,
früher seine Tochter zu verloben, die er jetzt von zwei gleich würdigen
Freiern umworben findet. Schwankend zwischen Euch und Dagobert,
stellte er seine Wahl auf den Ausgang eures Wettstreites und gab
mir die Vollmacht, denjenigen von euch als seinen Eidam zu erklären,
für den der Sieg sich entscheiden würde. Der Glückliche seid Ihr und
doppelt glücklich, da Euch zugleich vor Dagobert das Herz Euerer
Schönen begünstigt —
Messis. Wie, Dorothea liebt mich?
Memling. Der Vater bezeugt es selbst — und solltet Ihr erst
darum zu fragen haben? Woher Euer Jubel, wenn Ihr —
Messis. Haltet ein! Haltet ein! Was muss ich hören! Und der
Vater gäbe mir die Tochter, sagt Ihr?
Memling. Ihr hört es. Euer Wettstreit war ihm viel willkommen
und sein Entschluss sogleich gefasst, sich von ihm bestimmen zu lassen,
»Ich öffne mein Haus dem, der dem Hause die grössre Ehre bringt,«
waren seine Worte. Und der — nach Dagobert’s trauriger Selbstver-
dammung — der seid Ihr.
Messis. Herr! Gott! Welch ein Schicksal überrascht mich hier!
Memling. Doch kein entsetzliches? Wie geberdet Ihr Euch?
Messis (durchmisst in starker Bewegung die Bühne, steht still, geht auf
und ab und zeigt eine grosse innere Bewegung. Endlich tritt er entschlossen vor
Memling und spricht mit ruhiger Stimme). Meister, Ihr redetet mir jüngst
zu Gehör, ich sollte nach Antwerpen gehen und van der Weyde holen;
— ich gehe.
Memling. Ihr geht? Doch werdet Ihr zuvor —
Messis. Ja, ich muss fort von Köln — dann wird Alles wieder
gut. Sie wird mich nicht mehr sehen, der wackere Dagobert wird seine
Ruhe wieder gewinnen und sich dem Vater und der Tochter zu em-
pfehlen wissen. Seine Liebe, seine Kunst stehe ohne Nebenbuhler in
unverdunkeltem Glanze da — und wenn ich wieder zurückkomme,
sind sie ein Paar.
Memling. Aber, woher — bei allen Wundern des Himmels!
— woher diese plötzliche Sinnesänderung? Warum bewarbet Ihr Euch
um die Jungfrau, wenn Ihr —
Messis. Ich mich bewerben? Der Allwissende ist mein Zeuge,
das that ich nimmermehr! Hab’ ich ihr Herz, so ist’s geschenkt; mit
keinem Blicke, mit keinem Worte, mit keiner Geberde begehrt’ ich
ihre Liebe. Ich schmeichelte ihr nicht, ich huldigte ihr nicht; das
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 17, S. 647, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-17_n0647.html)