Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 17, S. 648

Quintin Messis (Kürnberger, Ferdinand)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 17, S. 648

Text

648 KÜRNBERGER.

Schöne, das ich sprach, war auch das Wahre, denn grad’ und offen
ist mein Herz und wen ich schätze und verachte, dem zeig’ ich’s klar.

Memling. Doch wie? Ihr kämpftet ja auf Leben und Tod für
Eure Dame?

Messis. Für meine Ehre wollt Ihr sagen. Als er mit gezücktem
Degen blindlings auf mich eindrang, sollt’ ich ihr entsagen und schimpf-
lich für eine Memme gelten? Nach dem Kampfe war’s Zeit, ihm seinen
Irrthum aufzuklären, vor ihm schien’s eine feige Ausflucht.

Memling. Doch dieser zweite Wettstreit — war’s nöthig, die
Täuschung so weit zu treiben? Warum habt Ihr Euch hier mit ihm
gemessen?

Messis. Ich messe mich nach Jahr und Tag mit Euch selber,
Meister, so Gott will! Dieser Kampf war längst mein Wunsch. Sehen
wollt’ ich, was an mir ist, und nur an Andern lernt sich der Mensch
selbst kennen. Nicht was ich kann, macht mich gross, sondern, was
Andre nicht können. Was hilft es mir, mit einem zweiten und dritten
Euer erster Schüler zu heissen? Hundert Helden sind wieder gemeine
Soldaten, aber wer die hundert Helden besiegt, der ist ein Held!

Memling. Spricht das mein stiller, anspruchsloser Messis? Also
der Bescheidenste war der Stolzeste meiner Schule! — Und, so reiset
Ihr nun? Welch ein Schauspiel erleb’ ich denn hier? Die Hand unsrer
schönsten Jungfrau, das Gut unsres reichsten Bürgers verschmäht von
der Armuth eines fremden, namenlosen Jünglings! Gott gebe mir einen
sechsten Sinn, dass ich Vernunft dabei sehe. — Ha, seid Ihr verlobt
in Antwerpen?

Messis. Niemand hat in Antwerpen mein Wort, aber auch mein
Herz kann fürder Niemand haben — ich kann zum zweitenmal nicht lieben!

Memling. Jetzt wird mir Alles klar! — Messis, keine Täuschung
ist grösser als diese. Wir wollen sie ins Auge fassen! — Setzt Euch!
— Seht mich an, Messis! Was haltet Ihr von mir? Ihr seid mein
Schüler, ich bin Euer Meister. Aber das ist nichts. Die Spinne, der
Biber, der Seidenwurm übertreffen mich an Kunst, und das grösste
Talent verträgt sich mit der äussersten Geisteseinfalt. Wenn Ihr aber
glaubt, dass ich ein wohlmeinender und vernünftiger Mann bin, der
die Geschichte der Menschheit vom ersten Knabenflaum bis zum ergrau-
enden Haar in sich durchgemacht hat, wie Einer; der zu unterscheiden
weiss, was flüchtig und stetig, wahr und falsch ist in unserer Brust,
der manchen Knoten sich schürzen und lösen sah, und dem die Welt
ein weit grössrer Meister war, als er ihr: wenn Ihr diese Meinung fest
und herzlich zu mir fassen könnt, so überlasst Euch mir, vertraut Euch
mir in diesem entscheidenden Augenblicke Eures Lebens! Niemand ist
Richter in seiner eigenen Sache, am wenigsten ein Herz in seiner Liebe.
Wer schlug Euch Eure Wunde und wie? Entdeckt mir’s, Guter! Viel-
leicht, dass ich sie lindre, Euch der Natur und dem gesunden Leben
wiedergebe!

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 17, S. 648, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-17_n0648.html)