Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 17, S. 651
Text
Opfert Euch Eurem Wahne, aber opfert ein edles Mädchen in seiner
ersten Liebe nicht.
Messis. Ein edles Mädchen ist auch ein Mädchen! Wenn’s hoch
kommt, so vertrauert sie diesen Sommer, aber unter den Blumen des
nächsten Frühlings stehen ihre bräutlichen Myrten — soll mir die
Seeligkeit entgehen!
Memling. Oder sie selbst liegt unter diesen Blumen. Man hat
Geschichten von gebrochenen Herzen —
Messis. Märchen hat man! nichts als Märchen, Gedichte, Fabeln,
Erfindungen, Lügen! Nein! Nein! Meister, hier steh’ ich auf meinem
Boden! — Nichts davon, ich bitt’ Euch!
Memling. Messis! Messis! Welches Ungemach bereitet Ihr mir!
Kann ich den Kummer und die Schmach der Verschmähung in meines
würdigen Freundes Haus verkünden? Oder kann ich den Sieger meiner
Schule verleugnen und Hildebalds Vertrauen mit falscher Münze be-
zahlen?
Messis. Welch ein glücklicher Gedanke! O thut’s! thut’s! Schenkt
dies mein Bild dem armen Dagobert! Sagt jenen —
Memling. Nein! nein! Ich lüge nicht für Euch, ich steh’ nicht
ein für Eure Thorheit!
Messis. Nun denn, ich will Euch’s leichter machen! (Er zerreisst
sein Bild und wirft es geballt zu dem andern.) Hier liegt Messis, hier liegt
Dagobert! Der Kaufmann komme und wäge sie!
Memling. Wahnsinniger! Was habt Ihr gethan? Euren Glückstern
aus seiner Bahn geschleudert, den Schuldbrief des Schicksals an Euch
zerrissen, gebrochen mit der schönsten Zukunft Eures Lebens!
Messis. O, mein treuer Meister! Könntet Ihr mit meinen Augen
sehen! Ich will Euch diese schöne Zukunft zeigen. Ich sitze in einem
prächtigen Stadthause und sehe vom freien Balkon weit hinaus über
eine Reihe Landhäuser am Rhein, über unermessliche Gebreiten von
Feld und Flur, Garten und Wald — und das Alles ist mein. Wie ein
König in seinem Reiche thron’ ich in Hildebalds fürstlichem Erbe.
Aber neben mir auf dem Sammte meiner Kissen ruht ein Weib, im
Saale und neben mir, in meinen Arm verschlungen, wandelt ein Weib
durch die Gärten — woher kommt nur die? Das ist dem Einzigen die
Einzige! Das ist die Hälfte meines Ichs, mein Fleisch, mein Blut! Doch
fremd ist mir die Farbe ihres Haares, und fremd das Lächeln ihrer Züge,
und fremd jede Geberde ihres Körpers, wie reizend sie auch sei. Ich
sehe sie an, und sehe nicht ihre eigene Schönheit, sehe nur, worin sie
jener Unvergesslichen nicht gleicht, und nähre meinen Gram aus dem,
was mir zur Wonne sollte da sein. Und falsch ist ihr mein Kuss, und
Trug meine Umarmung, und Lüge meine Treue, die das Herz schon
brach, ehe noch der Mund sie schwur; so stahl ich einem edlen Weibe
das Glück ihres Lebens und fand mein eignes nicht dabei, denn halb
ist Alles nur, was ich geniesse, und das entadelte Gewissen verkümmert
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 17, S. 651, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-17_n0651.html)