Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 17, S. 659
Text
die thatsächlichen Verhältnisse gezogen werden. Den Frauen, die ja
schliesslich die Mehrheit sind, passte dies Alles ganz vortrefflich. Die
Forderungen und der Fanatismus der »Emancipationsdamen« nahmen
den Charakter des Grössenwahns an. Selbst eine Vorkämpferin ihres
Geschlechtes, wie Charlotte Edgrén-Leffler, entzog sich der dummen
Tyrannei dieser neuen »öffentlichen Meinung« und ihrer zehn Gebote,
die eine förmliche Dogmatik bildeten. Denn alle Menschen sind zwar
gleich, aber der Mann ist schlecht und die Frau ist gut, und der Mann
ist dumm und die Frau ist gescheit, der Mann ist ein Tyrann, die
Frau eine Märtyrerin, und der Mann hat seinen Platz zu räumen und
alle (bequemen) Stellungen der Frau zu überlassen. Ob die Frau dann
den Mann ernähren werde, hatte sie mit sich noch nicht ausgemacht.
Eine Reaction gegen solche Lächerlichkeiten konnte natürlich nicht aus-
bleiben. Brandes musste sich gegen den Brandesianismus kehren. Alle
bedeutenden Geister, alle Menschen von feiner Empfindung und vor-
nehmem Geschmack nahmen gegen die Emancipationsdamen Stellung.
Erst machte man sich lustig, dann wurde man böse. Auch Garborg
hatte die »Handschuhmoral« verspottet, Georg Brandes hatte Luther
sich zum Bundesgenossen gerufen; August Strindberg war durch
Spott und Discussion bis zum wilden Handgemenge gekommen. Man
lese seinen ersten Band »Ehegeschichten« mit der Vorrede und nachher
den zweiten, um den Weg zu sehen, den er in seiner Stellung zur
Emancipation zurückgelegt. Es war der Mann erwacht, der Mann, der
bisher die Frau und ihre Ansprüche grossgehätschelt, ihr ein galanter
Troubadour gewesen und ein guter Kamerad, der die Welt, die er ge-
schaffen, mit ihr hatte theilen wollen. Jedoch Aufruhr, Usurpations-
gelüste duldete er nicht. Man hatte bisher das Weib als die Schwächere,
die Unterdrückte geschildert. Nun schilderte sie Strindberg als die
Ausbeuterin. Sie lebte von der Arbeit und den Ideen des Mannes; sie
sog ihn peeuniär und psychisch aus, und wenn er nichts mehr zu
geben hatte, betrog sie ihn. Er schrieb seine polemischen Dramen »Der
Vater«, »Gläubiger«, »Die Kameraden«, »Fräulein Julie«, seinen Roman
»Am Meeresgestade«, das Stück Seelenbiographie »Die Beichte eines
Thoren« — Werke einer furchtbaren, ganz persönlichen Rancune gegen
die Frau, vielleicht gegen eine bestimmte Frau, und einer theoretischen,
monomanen Angst vor dem Weib der Zukunft, dessen Zerrgebilde er
schon in einzelnen Erscheinungen der Gegenwart zu erkennen glaubte.
Er schlug den misogynen Ton an, und in Ola Hansson gab es Wieder-
hall, nur dass bei ihm die Polemik sich in Dichtung umsetzte; er
schrieb damals »Alltagsfrauen«, kleine Skizzen, in denen er versuchte,
die typischen Abnormitäten des krankhaft verbildeten Weibes zugleich
analytisch und synthetisch darzustellen. Ueberdies rollten die Norweger
Hans Jaeger und Arne Garborg ein Bild des modernen Liebeslebens
grosser Städte einmal von der Männerseite auf, und darob trat die
Frauenfrage in der Literatur zurück vor allgemein moralischen und
socialen Fragen. Und dann wurde die moderne Kunst in einigen Künstlern
Selbstzweck: der Naturalismus wollte schildern, um zu schildern, es war
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 17, S. 659, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-17_n0659.html)