Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 17, S. 671
Zur Charakteristik Stanislaw Przybyszewski’s (Neumann, Alfred)
Text
geschrieben: »Ich bin ein Pole, meine Muttersprache, die ich selbst-
verständlich in höherem Masse beherrsche als die deutsche, ist polnisch.
Ich begann, abgesehen von verschiedenen anderen Gründen, deutsch zu
schreiben, weil ich in meiner Heimat anfangs ein zu geringes Publicum
gefunden hätte. Jetzt habe ich in der herangewachsenen Jugend einen
so starken Hinterhalt, dass ich wohl bald von der deutschen Literatur
Abschied nehmen werde, in der ich doch immer als der Fremde, ja
zum Theil als ein Intrus galt. Aber mit grossem Danke, mit Freude
werde ich immer daran denken, wie unermesslich viel ich dem germa-
nischen Geist und der germanischen Cultur zu danken habe. Ich liebe
die deutsche Sprache ganz ungemein; sie besitzt zwar nicht den grossen
plastischen Werth, den die polnische Sprache hat, dafür aber bedeutend
mehr culturelle Tradition. Dabei ist sie biegsam, sie schmiegt sich an
jede Empfindung, und es bereitet mir immer von Neuem eine grosse,
schöne Freude, mit ihr zu kämpfen, sie zu zwingen, sie zu polonisiren,
d. h. ihr den fabelhaften, musikalischen Werth meiner Muttersprache
zu entlocken «
Die Zeit geht ihren ehernen Gang weiter, zu Boden drückend,
was sich ihr in den Weg stellt. Was gestern Gipfel war, heute ist’s
ebenes Thal, was gestern zum Himmel ragte, liegt heute gestürzt am Boden.
Rastlos vorwärts!
Nur um einzelne Klippen brandet die Fluth, um Klippen, die mit
Titanenstärke dem Anprall trotzen. Sie wanken nicht, einsam stehen
sie da in ihrer unermesslichen Grösse, in ihrer göttlichen Kraft
Chopin, Nietzsche, Wagner und noch einer Er, dem diese
Worte galten, er, der mit blutendem, zuckendem Herzen schuf, der die
Lieder des Wahnsinns, der entfesselten Phantasie, der satanischen
Qualen sang:
Der einzige, unersetzliche Künstler — der Pole Stanislaus Przy-
byszewski
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 17, S. 671, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-17_n0671.html)