Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 20, S. 755

Das hermetische Bergschloss (Rachilde)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 20, S. 755

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DAS HERMETISCHE BERGSCHLOSS. 755

Echo der Städte zu ersticken, welches so distonirend in das andächtige
Schweigen eines Calvarienaufstieges hineinklingt. Meine Freunde hatten
es sich liebenswürdigerweise gleich Anfangs angelegen sein lassen, das
Haus, den Garten, den Weinberg meinem Urtheile zu unterwerfen; sie
zeigten mir nach verschiedenen Seiten hin die merkwürdigen Stellen
des Ortes; den Platz, wo Albert Téard im Vorjahre einen ungeheueren
Hasen erlegt hatte, den Kreuzweg, wo man noch Spuren des Preussen-
heeres sehen konnte, die Pfade, auf welchen in manchen Winterszeiten
die diebischen Wölfe aus dem Walde herunterkamen; dann waren wir
allmälig, von Ehrfurcht vor der Erhabenheit des Panoramas, das uns
einschloss, ergriffen, wie nach unausgesprochenem Uebereinkommen ver-
stummt und blickten nur so vor uns hin, fast ohne zu sehen.

Am Horizont, doch nicht allzuweit von uns entfernt, ragte ein
ungeheurer Fels über einen Hügel empor, welcher dem gleich war, der
uns trug, und man erblickte sehr deutlich die Ruinen eines feudalen
Schlosses, welches in den dunklen Felsen gehauen war. Das bildete
einen dramatischen Hintergrund zu dem relativ heiteren Bilde, welches
einerseits das Dorf von Suse darstellte, das sich um einen primitiven,
in einen abgerundeten Knauf auslaufenden Kirchthurm drängte, sowie
andererseits der Weinberg, auf dem, wie hingestreut, Bauern in blauen
Blousen und Weiber in hellen Röcken zu sehen waren. Es dominirte
mit dem Ausdruck von etwas Bösartigem, Heroischem, und es war un-
möglich, nicht sogleich zu erklären, dass sich dort der einzige merk-
würdige Punkt der Gegend befinde, die historische oder die legen-
däre Stelle. Allein man hatte noch nicht davon gesprochen. Albert
Téard murmelte nun mit müder Stimme:

» dann gibt es auch Höhlen in den Kieselgrund gehauen,
voll fossiler Knochen; wir werden Sie dahin führen —·und dann werden
Sie Alles gesehen haben.«

»— Wie denn, Alles gesehen?« — sagte ich, mich auf einen
Ellbogen aufrichtend — »und jene Ruinen dort?«

»He? Welche Ruinen?« fragte verwundernd Frau Téard.

Ich starrte hin, streckte den Arm aus — da fing Albert Téard
zu lachen an.

»— das und Ruinen! Vielleicht ja, sicherer aber nein! Von
unsrer Wohnung aus an einem Regentage gesehen, da würde man es
ganz einfach einen Fels nennen mit einem Pik; im Sonnenschein aber,
im Spiel der Lichter, die aus den Wolken herniederbrechen, da glaubt man
manchmal, es sei ein altes Schloss ohne Thüre. Oh! trauen Sie ihm nicht!«

»Sie scherzen?«

Ich schaute hin wie gebannt, so dass mir nachgerade das Hirn
davon wehe that.

»Nicht doch, es ist der Fels, der mit uns sein Spiel treibt, er-
widerte Albert Téard. »Es existirt keinerlei Beschreibung dieser Ruinen
in den Jahrbüchern der Franche-Comté, und unsere Bauern, welche
nicht Zeit haben, sich zu unterhalten, behaupten, sie niemals, weder
im Sonnenschein noch im Regenwetter wahrgenommen zu haben. Was

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 20, S. 755, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-20_n0755.html)