Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 20, S. 757

Das hermetische Bergschloss (Rachilde)

Zum TEI/XML Dokument

Faksimile

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 20, S. 757

Text

DAS HERMETISCHE BERGSCHLOSS. 757

Téard, welche ein wenig Milch hatte kaufen wollen, dass man ihr gar
nicht einmal antwortete, und sie sagte mir mit gelangweilter Stimme:
»So sind sie hier!«

Die alte Dame installirte sich am Rande eines primitiven Wasser-
beckens, wo, durch Holzröhren geleitet, ein Brunnen gurgelnd einlief.
Sie wünschte uns einen glücklichen Aufstieg und machte sich daran,
einige Weinflaschen ins Wasser zu tauchen, um sie bei unserer Rück-
kunft frisch zu haben. Nun sagte ich mir vor, dass es sich um eine an-
genehme Excursion handle; dennoch, wie oft ich mir dies auch vor-
sagte, fühlte ich mich von vorneherein an der Sache verzweifelnd. Ich
unterschied nicht mehr das feudale Felsgebilde hinter den gewöhnlichen
Felsblöcken, die es maskirten; die tiefe Stille des Weilers reizte mich,
ich war nervös. Dieses romantische Luftbild von gestern metamorpho-
sirte sich zu einem lächerlichen Hinterhalt, und Alles in mir vibrirte,
als sei ich schon jetzt das Opfer einer verhängnissvollen Ungerechtig-
keit. Téard machte mich philosophisch darauf aufmerksam, dass unsere
Gamaschen fest seien, und bat mich, mich des unentwirrbaren Gestrüppes
wegen, das wir zu durchschreiten hatten, mit Geduld zu wappnen.

»Sie werden es so gewollt haben,« schloss er mit Nachdruck.

Uns in gerader Linie gegen das Schloss hin zu bewegen, schien
mir eine kindische Angriffsart zu sein, allein aus unserem Angriff ward
von Minute zu Minute ein immer ernsterer Schlachtplan. Man kam vom
Wege ab, ob man wollte oder nicht; man wich vor Gräben zurück,
die mit Schlamm, Dorngebüsch und spitzem Gestein angefüllt waren,
man war immer wieder genöthigt, sich von den Schwierigkeiten, die
sich da in einander verstrickten, wegzuwenden, bis man endlich seinem
Ziele den Rücken zukehrte.

Ganze Wände von wilden Rosen und Brombeerhecken, Gestrüpp,
so hoch, dass es Einen niedersetzte, verdeckten uns obendrein ganz den
Anblick der Ruinen, und wenn ein Durchblick zwischen den Aesten
sie uns gewahren liess, so stiess das Auge an eine ungeheuere, eine
ganz glatte Mauer! Die Wartthürme, die Zinnen, der Rundweg, Alles
war von dieser von Feuchtigkeit triefenden Mauer verschlungen worden,
und es blieb nur eine stumme, blinde Façade aufrecht, die richtige
dräuende Façade Die hermetische Façade Ganz athemlos setzten
wir uns auf einen Baumstrunk des Berghanges.

»Nun?« sagte Téard, sich den Schweiss von der Stirne wischend,
»ist das eine Fopperei?«

»Man muss den Weg abschneiden — ich will einmal den Fels
mit diesen meinen Händen berühren —«

Nun sind wir wieder auf den Beinen, die Nase hoch, mit den
Augen unruhig umherblickend. Téard war wie vom Fieber geschüttelt;
er gestand mir, dass man das letzte Wort dieses Teufelsfelsens noch
gar nicht wisse. Einstmals hätte man wohl Steinbrüche in den Hügel
bohren können, vielleicht hatte man es sogar versucht, irgend etwas in
den Fels selbst einzubauen, und hatte dies sicherlich angesichts der
Härte des Granits dann aufgegeben. Nur, im Falle etwas da war,

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 20, S. 757, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-20_n0757.html)