Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 20, S. 780
Die »Centenarfeier« des Grössten Wie ein Sieger (Bleibtreu, CarlSchaukal, Richard)
Text
Wir bleiben dabei, dass man den Herrscher vom Menschen trennen, bei
Beiden das corsische Temperament und auch das nie sonst dagewesene abnorme Milieu
berücksichtigen müsse. Wenn Napoleon eine brutale, grausame Natur gewesen
wäre, so würden nicht zahllose persönliche Züge des Gegentheils überliefert sein.
Wie hatte er nicht über das Lützow’sche Freicorps gewettert, und doch begrüsst
er Lützow selber, den er verwundet auf dem Kirchhof von Ligny traf: »Ah, voici
le chef des brigands, le fameuse partisan! Qu’on le traite bien!« Eine harte
Natur in so pessimistischer Stimmung, wie sie Napoleon nachweislich (Houssaye
1815) damals umdüsterte, würde wohl schwerlich so grossmüthig den gehassten
»Briganten«, in dem er den verderblichsten Typus der Volkserhebung verkörpert
sah, behandelt haben. Wer auf St. Helena tief ergriffen vor der Jesusgestalt sein
Haupt neigte und in classischen Worten von dem »grössten Eroberer« sprach,
neben dem alle anderen Grössen nur armselige Aeusserlichkeiten vorstellen, der
hat selbst in der dunkelsten Verirrung seines Jehova-Traums nicht den Weg zum
Licht verloren.
Wen »der Vater im All« mit so unerhörten Geisteskräften ausgerüstet,
der steht über dem Urtheil der Menschen, die im letzten Grunde doch nur
pharisäisch ein Wesen verdammen, von dem sie nichts als gerade die Aussen-
schale seines Egoismus begreifen. Denn nur dies ist ihnen wahlverwandt ver-
ständlich. Griffen sie in den eigenen Busen, wie sie den Lockungen der Allmacht
unterlägen, wie jeder kleinste Gewalthaber von blindem Selbstwahn strotzt, so
würden sie ahnen, wie Jesus einen Napoleon richten müsste: »Richtet nicht,
auf dass ihr nicht gerichtet werdet!« »Wer sich rein fühlt, werfe den ersten
Stein!«
WIE EIN SIEGER.
Ich wollte durch sonnenduftende Weiten
Das Haar bekränzt wie ein Sieger schreiten,
Die Finger an den träumenden Saiten
In einem zärtlichen Andachtsgleiten.
Und auf den Höhen wollte ich rasten,
Prüfend nach den Sandalen tasten
Und lächelnd über der Menschen Hasten
Von der Seele schütteln die Wanderlasten.
Wien. Richard Schaukal.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 20, S. 780, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-20_n0780.html)