Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 20, S. 781

Jacob Burckhardt (Schaeffer, Emil)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 20, S. 781

Text

JACOB BURCKHARDT .
Von Emil Schäffer (Wien).

» Die Erzieher fehlen, die Ausnahmen der Ausnahmen abge-
rechnet Eine jener allerseltensten Ausnahmen ist mein verehrungs-
würdiger Freund Jacob Burckhardt in Basel.« Das sind Worte, die den
Namen Jacob Burckhardt mit leuchtender Helle umstrahlen, ihm einen
Glanz leihen, der nimmer verblassen wird, denn Friedrich Nietzsche
war der Mann, der dankbaren Herzens diesen Satz geschrieben. Burck-
hardt erzog durch Wissenschaft; aber wenn er dies vermochte, wenn
wir seinen Werken mehr danken als eine Bereicherung an positiven
Kenntnissen, wenn seine Bücher uns neue Pfade weisen, unsere An-
schauungen verrücken, unser ganzes Wesen umformen, kurz erziehen,
so rührt dies daher, dass der Professor Burckhardt ein grosser
Künstler war. Er gehörte niemals zu jenen Universitätshandlangern,
deren Arbeiten man fleissig und verdienstlich zu heissen pflegt; der
vorzüglichste Kenner verborgener Quellen, der kundigste Forscher
staubiger Archive, er wusste doch, dass nicht um der Anmerkungen
willen das Buch da ist. Wo die Gelehrten aufhören, setzte seine Thätig-
keit erst ein; wo Andere als Kärrner Steine regellos zusammenschichten,
da schuf er als Baumeister herrliche Paläste, beseelt vom Geiste seiner
starken Individualität. Burckhardt schrieb als Künstler niemals, um
die Wissenschaft zu bereichern, auch nicht, um als Fertiger, wie
vom Katheder herab, erhabene Weisheit zu künden, sondern nur irgend
etwas, das ihn bedrückte, wollte er sich vom Nacken wälzen, und sich
selbst über eine Kunst, eine Cultur die ersehnte Klarheit bringen,
alles Verhuschende und Zerflatternde durchs Wort in feste Formen
bannen. Auch Burckhardt bedeutete (wie jedem Künstler) das Nieder-
schreiben eines Satzes zugleich auch eine Ueberwindung der Stimmung,
die ihn gebar; das vollendete Werk hatte ihn zu einem Anderen
gemacht. Was Gegenwart dereinstens war, schien jetzt ihm fremde Ver-
gangenheit, zu der er kein Verhältniss mehr finden konnte. Dies
Künstlerthum Burckhardt’s erklärt die einem Gelehrten gewiss unbe-
greifliche Thatsache, dass er niemals selbst eine zweite Auflage
seiner Bücher veranstaltete, dass nothwendige Correcturen und Er-
gänzungen immer von fremder Hand besorgt werden mussten — das
gedruckte, fertige Buch war ihm wohl kaum mehr als Hekuba dem
Schauspieler.

Burckhardt schrieb, wie gesagt, nie, um zu schreiben, sprach nur
dann, wo er nicht schweigen durfte, und darum scheint bei ihm keine
Zeile überflüssig; jeder Satz ist bedeutend, keiner könnte weggelassen
werden. Was Burckhardt besonders reizte, war das Aufeinanderprallen

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 20, S. 781, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-20_n0781.html)