Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 20, S. 782
Text
verschiedener Weltanschauungen, der Kampf der beiden grössten
Culturen, der heidnischen und der christlichen. Seine ehrlichsten
Sympathien gehören wohl dem Heidenthum. In seiner »Zeit
Con-
stantin
des Grossen« beugt er sich bewundernd vor der Riesen-
gestalt Diocletians, sucht seine Verfolgung der Christen zu rechtfertigen,
und für den Heroismus hingeschlachteter Märtyrer hat er nur frostiges
Staunen übrig; denn »der feste Glaube an einen sofortigen Eintritt in
den Himmel begeisterte gewiss auch manchen innerlich unklaren und
selbst gesunkenen Menschen zur freiwilligen Hingabe des Lebens, dessen
Werthschätzung ohnedies in jener Zeit der Leiden und des Despotismus
eine geringere war als in den Jahrhunderten der germanisch-romanischen
Welt«.
Voll trauernder Liebe und mit zürnendem Schmerz blickt er auf
die bereits in den Farben der Verwesung schillernde Antike, beschreibt
die schauerlichen Mysterien des Mithras und der grossen Mutter von
Pessinunt, den vollständigen Verfall der Künste, das Ende des physisch
schönen Menschen, um schliesslich doch im Christenthum eine »hohe
geschichtliche Nothwendigkeit« zu erkennen.
Greift er hier in seiner Liebe zum Starken und Gesunden für
das Christenthum Partei, weil es ihm lebenskräftige Keime zu bergen
und Neues zu verheissen scheint, so begrüsst er wiederum in seiner
»Cultur der Renaissance« freudig das Abstreifen der mittelalterlichen
Glaubensfesseln, das grossartige Erwachen des Persönlichkeitsgefühls,
die naive und stolze Freude an der Schönheit der Welt und an der
eigenen Individualität. Jene wundervolle Zeit, für die der »cortegiano«
des Grafen Castiglione ebenso typisch deucht wie Aretino’s »ragiona-
menti«, jene Tyrannen, die in einer Stunde einen Mord begehen und
in der nächsten mit Humanisten ruhig über Plato und Aristoteles
disputiren konnten — jene ganze Cultur, die ebenso reich war an
süssen Harmonien wie an schrillen Dissonanzen: Burckhardt hat sie
in einer Sprache geschildert, deren spröde, bisweilen auch harte Schön-
heit an Florentiner Sculpturen des Quattrocento erinnert. Und auch in
diesem Buche imponirt und blendet die Art, wie er alles Seiende als
nothwendig zu begreifen sucht, sein an Thucydides gemahnender, un-
bedingter Wille zum Thatsächlichen. Niemals misst er in Folge dessen
diese complicirte Zeit an dem Massstabe einer allgemein giltigen Moral,
sondern aus der Cultur selbst holt er die Gesetze für ihre Beurtheilung.
So konnte er nicht wie Gregorovius in Cesare Borgia bloss einen
»Räuberhauptmann« schauen, aber es scheint mir doch sehr fraglich,
ob er gleich Nietzsche in dem Papst Cesare Borgia die Vollendung
der Renaissance erblickt hätte.
Von der Kunst spricht Burckhardt in seiner »Cultur der Re-
naissance« wenig, nur soweit er ihrer als eines socialen Factors Er-
wähnung thun muss. Dafür hat er uns ausser seiner »Geschichte der
Renaissance-Architektur« ein Buch geschenkt, das, wie der
Bädecker sagt, jeden Kunstfreund nach Italien begleitet — ich meine
den »Cicerone«. In knappen, unübertrefflich kurzen Sätzen charakteri-
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 20, S. 782, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-20_n0782.html)