|
Die Reden Kaiser Wil-
helms II. Leipzig, Ph. Reclam.
Gustav Freytag hat in seinen
Erinnerungsblättern an den früh
entrissenen Kaiser Friedrich ein
allgemein giltiges Wort über Reden
fürstlicher Personen. »Da der Fürst
weiss, dass jede Aeusserung, die
er in der Unterhaltung fallen lässt,
belauscht, erwogen, weiter erzählt
wird, so muss er doch seine Rede
darnach bemessen. Ist vollends ein
Herr in der Lage, öffentlich zu
sprechen, so wird jeder Satz seiner
Rede nach dem unvermeidlichen
Druck derselben von Millionen als
bedeutungsvoll begutachtet. Es ist
daher ganz in der Ordnung, wenn
der vielbeschäftigte und zerstreute
Herr sich die Rede von einem
vertrauten Manne niederschreiben
lässt und sich dieselbe einprägt.
Sie wird dadurch, dass er sie
spricht, die seine, denn er über-
nimmt die Verantwortung; aber er
gewöhnt sich dabei auch, fremden
Geist als den seinen auszugeben,
und muss sich gefallen lassen, dass
seine eigene Auffassung, seine Bil-
dung und sein Verständniss nach
den wohlerwogenen und gescheiten
Worten des Andern geschätzt wird.«
Wenn das die Regel sein sollte,
so stellt der gegenwärtige Beherr-
scher des Deutschen Reiches jeden-
falls die Ausnahme vor. Er ist
sein eigener Redner, wie er bei-
nahe sein eigener Maler, sein ei-
gener Componist ist. Diese ursprüng-
|
liche Vielseitigkeit, die im Nach-
barreiche vielleicht nicht überall
freudig angesehen wird, mag gleich-
wohl ein lehrreicher Fingerzeig für
die deutsche Entwicklung der Zu-
kunft sein. Es sind schon Stimmen
laut geworden, die vor dem Er-
starren des Deutschen im Fach-
menschenthum warnten. Und nach
der Regierung eines rein militäri-
schen Herrschers, eines Herrschers,
der nicht anders sein konnte, als
rein militärisch, sieht das Reich
einen Regenten, der kein Fachkaiser
ist, sondern mit jugendlichem Ehr-
geiz eine staunenswerthe Vielseitig-
keit entfaltet, die erfrischend be-
zeugt, das bureaukratischer und
militärischer Drill nicht die höchsten
Güter der Nation sind.
Die Reden Kaiser Wilhelms II.
in den Jahren 1888 bis 1895
liegen nämlich bereits gesammelt
vor. Die bekannte Reclam’sche
Universal-Bibliothek hat diese
interessante Sammlung auf den
Büchermarkt gelegt. Man sieht, dass
der junge Herrscher fleissig und mit
Vergnügen gesprochen hat; er be-
nützt jeden Anlass, um Gedanken, die
nach Aeusserung drängen, zu knapp
gehaltenen Reden zu verdichten.
Des Fürsten Bismarcks Reden sind
auf der Rückseite des Buches an-
gekündigt, aber ehe man noch diese
Anzeige gelesen, hat man im Geiste
ein Band zwischen dem alten Kanzler
und dem jungen Kaiser zu knüpfen
gesucht, die sich gleicherweise als
|