Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 21, S. 796
Text
Möglichkeiten weg, eine um die andere, machte ihren Gedankenumfang
enger, immer enger, bis schliesslich von all dem Reichthum nur der
eine Gedanke blieb, der dort jetzt auf und nieder ging.
War das vielleicht der Sinn des Lebens, wenn das Leben sich
auf baute auf Walzern und bunten Träumen?
Er war schliesslich wie behext von dem Anblicke der Alten.
Nach Mitternacht erst machte sie sich auf den Weg, stumm und langsam.
Sie hatte ihr Ziel nicht erreicht. Er sah ihr nach, mit fiebernden Augen,
bis ihre schweren Schritte verhallt waren in der schwarzen Regennacht.
Ihm war, als sei sein Glück mit ihr gegangen. In seinen Ohren liessen
die »Liebesklänge« noch immer ihre Arabesken spielen und gleiten,
aber —
»Bist du denn ganz verrückt geworden? Oder willst du dich über
mich lustig machen mit deinem Getingel?!«
»Sie« war wieder eingetreten, empört über die ewige Wiederholung
desselben Walzers. Wie ein eiskalter Wasserfall strömten ihre Worte
über ihn her. Er stellte die Spieluhr ab und nahm ein Buch zur Hand.
Aber ihre Stimme wollte nicht mehr stille werden.
Ja, ja, die Stimme, ihre Stimme, sie war doch sehr, sehr stark
geworden in den 36 Jahren ihrer Ehe.
Er räusperte sich.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 21, S. 796, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-21_n0796.html)