Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 21, S. 800

Abschied (Linsemann, Paul)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 21, S. 800

Text

800 LINSEMANN.

Ein süsses Träumen überkam ihn.

»Liebst du mich noch, Dora, liebst du mich noch?«

Sie schloss seinen Mund mit ihren Lippen. Dann:

»Na und Trude?«

Da schloss er wieder ihren Mund. Er schämte sich.

Die Stunden verrannen ihnen wie Minuten



Dann aber schickte sie ihn fort. Es sei jetzt Zeit. Was sollten
auch die Hausleute denken?

»Dora, Dora, wie ist es nur möglich, dass unsere Liebe ?«

»Du musst jetzt gehen.«

»Auf Morgen auf Morgen früh.«

»Morgen? Morgen darfst du nicht mehr hier sein.«

»Was? Warum nicht?«

»Weil Er morgen Früh kommt.«

Er fuhr auf:

»Dora — ist das deine Liebe?«

»Wenn du eine Trude hast, darf ich doch wohl einen Rudolf
haben? Denkst du, ich werde in ein Kloster geh’n? Ihr Männer seid
doch zu egoistisch.«

»Dora und jetzt wie konntest du nur?«

»Wie konntest du nur?«

»Und warum thatest du es?«

»Weil ich sehen wollte, ob ich noch Macht über dich habe,
mein Lieber. Gott sei dank, ich hab sie noch. O, wie schwach seid
ihr Männer! da, gieb mir die Hand, wir wollen als gute Kameraden
von einander gehn Ah, es ist schön, das Gefühl des Herrschers
zu haben das ist das Schönste auf der Welt.«

Er nahm seinen Hut.

»Na — doch nicht böse? Wir mussten doch Abschied nehmen
weisst du, damals die paar dummen Briefe — sollte das der Ab-
schied zwischen zwei netten Menschen sein, wie wir es sind? das war
unser nicht würdig! So behalten wir uns doch in guter Erinnerung
— im süssen Geheimniss —! Nur nichts Alltägliches Und schliess-
lich: wenn man nicht das bischen Sünde auf der Welt hätte Na;
gute Nacht.«


Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 21, S. 800, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-21_n0800.html)