Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 21, S. 816
Das Ergebniss der Münchener Kunstausstellung von 1897 (Fuchs, Georg)
Text
edlen Tönen künden, aber das ist schon beinah ein Sacrileg. Das
»Programm« soll möglichst deutlich bleiben. Eine Ueberraschung durch
künstlerische Einfälle könnte leicht ablenken, drum ein »Leitmotiv«
und das immer fort und immer fort und dann immer noch einmal!
Das Wesentliche soll nicht die musikalische, die poetische, die malerische
Gestaltung sein, sondern das, was dahinter liegt in der »Tiefe«.
Dass diese Theorie für Glorificirung der Schwäche erfunden sei, bedarf
keines Beweises. Der Starke gestaltet, ihm ist nichts gleichgiltiger
als das »Dahinter« und das »Tiefe«, er hat den starken Arm, die starke
Faust, den kühnen Muth. Er stellt hin, und wie es steht, so ist es schön.
Wenn wir uns entschliessen, alle Dinge, die uns umgeben, schön
zu gestalten, wenn wir darin den Zweck der Kunst erblicken, so handeln
wir gegen jede gütige Theorie. Wir emancipiren uns von der Adoration
des Alten, wir verachten den grössenwahnigen Individualismus, wir
wollen keine mystischen, philosophischen und Ideen-Werthe mehr, sondern
rein künstlerische, wir wollen Formen. Aber dieser Gegensatz der
angewandten Kunst gegen die Poesie, Musik und die Theorien
unserer Tage ist nur ein scheinbarer. Er ist nur dann vorhanden, wenn
wir uns nur an das halten, was öffentlich ausgeboten, gedruckt, gespielt,
besprochen und beklatscht wird. In Wahrheit ist das rein künstlerische
Leben in Deutschland nie abgestorben. Auf Goethe folgte Gottfried
Keller, auf Novalis Stefan George, auf Schubert Richard Wagner und
auf Richard Wagner Anton Beer und Andere. Es ist ganz gleichgiltig,
wie sich diese Künstler zur Aussenwelt verhalten. Die Zustimmung des
Pöbels wie die Vergötterung der »Höheren« macht nicht die Kunst,
ebensowenig wie der Geldbeutel des Verlegers: der Meister schafft.
Amen. Wann das Volk Stellung zu ihm nimmt, das ist gänzlich
einerlei. Auch die Gebildeten sind gewöhnlich um ein Menschenalter
zurück. Als Wagner lebte, hielten sie sich an Mendelssohn und dann an
seine Nachahmer, so geht es fort. Wer möchte seine Nerven damit belästigen!
Nein! Gerade in der Dichtkunst, von Goethe bis zu uns, gerade in
der Musik, von Schubert bis Anton Beer ist die Tradition niemals unter-
brochen worden. Auf diesen Kunstgebieten hatten wir immer grosse Künstler
gehabt und haben sie auch heute. Wir kennen sie, die Kommenden wer-
den sie preisen und ebenso verächtlich von der öffentlichen Meinung, den
Theaterdirectoren, Kritikern und Capellmeistern von heute denken, wie
diese über ihresgleichen von gestern. Zu allen Zeiten jedoch waren es die
Höfe der Vornehmsten, die den Meister auch schon zu seiner Zeit erkannten,
liebten und mit Ehrfurcht wandeln sahen. Diese Höfe gibt es auch
heute. Die Menge der Gebildeten erfährt von dem Geiste, der diese
Kreise bewegt, erst später, viel später. Ausgenommen die bildende
Kunst. Sie tritt vor Alle in den grossen Ausstellungen. Auch diejenigen
Künstler erscheinen hier bereits in der Oeffentlichkeit, die ihrer ästheti-
schen Reife nach mit Poeten und Musikern auf einer Stufe stehen,
die erst nach Jahren dem Publicum bekannt werden können. So wirkt
die bildende Kunst gegenwärtig als Erzieherin für die anderen Künste.
(Schluss folgt.)
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 21, S. 816, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-21_n0816.html)