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so jäher Eruptionen ist, dass ihm
alles Temperament und alles Talent
dazu vollständig fehlt, das hätte
Herr v. Bukovics erfassen müssen,
wäre er selbst in jeder Hinsicht
nicht ganz genau wie jener.
C. L.
Byron, der Übermensch,
sein Leben und Dichten.
Von Carl Bleibtreu. Verlag von
Hermann Costenoble. Jena 1897.
Es gibt Bücher, die nach einiger
Zeit total aus unserem Gedächt-
niss verschwinden, wir erinnern
uns gar nicht mehr, sie gelesen zu
haben. Und es gibt Bücher, deren
Inhalt im Laufe der Zeit sich zwar
mehr und mehr zusammenzieht,
wir erinnern uns nicht mehr der
Einzelheiten, aber um eine Idee,
um ein Bild, um eine Vorstellung
haben sie uns bereichert. Das sind
gute Bücher. Carl Bleibtreu hat uns
eins geschenkt. Er lehrt uns Byron
verstehen nicht in der Art moderner
Seelenspionage, die uns grosse
Geister näher zu rücken sucht
durch Aufzeigung ihrer Schwächen
und gütige Absolution derselben
auf Grund ihrer guten Werke. Er
zeigt uns Byron als ein noth-
wendiges Product seines Milieus.
Ohne Fehler keine Vorzüge. Ihm
gegenüber sind alle germanischen
Dichter Philister. Keiner lebte
äusserlich ein von dem Leben der
Masse so verschiedenes Schicksal
wie dieser Dichterlord. Sein Dichten
ist nicht ein Erpressungsversuch
an der Muse, es sind die Wort
gewordenen inneren Ereignisse
eines nach aussen stürmisch be-
wegten Lebens. Man kann Goethe
gemessen, ohne eine Ahnung von
seiner Lebensführung zu haben.
Ja, man mag sogar des Genusses
wegen auf das literarische Ver-
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ständniss einzelner Anspielungen
verzichten. Aber man kann den
Dichter Byron nicht verstehen,
wenn man den Lord, den Menschen
Byron nicht kennt Es ist darum
kein glückliches Wort, ihn einen
Uebermenschen (im Nietzsche’schen
Sinne) zu nennen. Man beraubt ihn
damit der edelsten Gefühle, wo-
durch der Mensch sich als Mensch
legitimirt, des Mitleids. Er war wohl
ein Pöbelschmäher, doch kein
Menschenfeind.
M. R.
Der Erntetag und An-
deres. Von Carry Brachvogel.
S. Fischer, Verlag. Berlin 1897.
Frau Carry Brachvogel ist wohl
kein überragendes Talent, das mit
starken Schritten auf einsamen
Pfaden schreitet. Doch hat sie eine
stille, häufig treffende, immer femi-
nine Beobachtungsgabe, die manch
altes Problem hübsch und adrett
zu putzen weiss. Von den neun
ungleichartigen und ungleichwerthi-
gen Skizzen ist die erste, die dem
Buch den Namen gab, wohl die
schwächste. Sie schildert das Leben
einer Bauernfrau, das durch den
Geiz ihres Mannes verdorrt ist,
und zeigt in ihrer Neigung zu crassen
Effecten, in ihrer schematischen
Charakteristik der Frauenbücher
typische Fehler. Auch »Wiedersehn«
und »P. p. C.« — ein alter, unge-
schickt erzählter Witz — sind arg
misslungen. Darauf kommt aber
die beste Erzählung des Buches,
»Ein Testament«. Wie eine kinder-
lose Witwe das uneheliche Kind
ihres Mannes anzunehmen sich be-
wogen fühlt, wie die Mütterlichkeit
in ihr langsam, aber unwidersteh-
lich aufblüht, wird hier mit einer
Fülle von zarten Strichen, mit einer
gewissen herben Grazie geschildert.
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