Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 22, S. 837
Das Ergebniss der Münchener Kunstausstellung von 1897 (Fuchs, Georg)
Text
AUSSTELLUNG VON 1897.
Von Georg Fuchs (Berlin).
(Schluss.)
Der decorative Künstler hat die Aufgabe, zu schmücken, d. i.
einen Raum künsterisch auszufüllen. Sei es, dass er nur die Construction
des Gegenstandes mit verfeinertem Geschmacke so weit durchbildet,
dass sie an sich künstlerisch wirkt, sei es, dass er die Flächen mit
linearen, geometrischen, Pflanzen- oder Thier-Ornamenten überzieht, dass
er sie bemalt oder mit Sculpturen ausfüllt, sein Bestreben ist einzig
und allein auf schöne Gestaltung gerichtet. Er will nichts »bedeuten«.
Er will, wenn er auch ein grosses Gemälde zur Ausfüllung einer Saal-
wand anbringt, nichts als verzieren, nichts als den Raum durch Orna-
mente oder Farbflecke schön erfüllen. Der »ideelle Inhalt« des Werkes
ist »adiaphoron«, um mit dem Apostel Paulus zu sprechen, er ist
Nebensache. Welch ein Fortschritt! Wo bleibt da die »Ideenmalerei«,
die »Programmmusik«, das Kunstwerk als »Manifestation des grossen
Individuums«? Dahin und weggeblasen von dem lebendigen Odem reiner
Kunstübung, sinnlicher Kunstübung. Die lange verfehmte Sinn-
lichkeit ist wieder erwacht, die man so lange darnieder hielt, weil
die Impotenz die ästhetischen Gesetze dictirte, der unsinnliche Gelehrte,
der Mystiker, der Biedermann als Künstler, alle die, welche ein Inter-
esse daran hatten, dass die Kunst nicht nach ihren schöpferischen
Elementen, nach dem sinnlichen Können gemessen werde, sondern
nach anderen Dingen, die auch der Nichtskönner und Schwächling auf-
zuweisen hat, z. B. nach der »Tiefe«.
Dieses ist die symptomatische Bedeutung, welche dem Erstehen
einer angewandten Kunst in Deutschland beizumessen ist. Es ist hiebei
nicht in Anschlag zu bringen, was diese Kunst einstweilen zu leisten
imstande ist. Das ist ein Thema für sich. Indem wir uns zur Be-
handlung desselben anschicken, müssen wir uns gegenwärtig halten,
dass die kleinen Kämmerchen der Münchener Ausstellung nur eine
Auswahl aus der gesammten Production enthalten, die nicht selten durch
den Zufall bestimmt wurde, fernerhin, dass einer der Besten ganz fehlt,
Melchior Lechter. Er ist ausgezeichnet durch ein aussergewöhnlich
sicheres Stylgefühl, wodurch er auf seinem mit weiser Absicht sehr
begrenzten Gebiete abgeschlossener und reifer erscheint als alle Anderen.
Im Uebrigen gehen die Bestrebungen noch recht kreuz und quer durch-
einander, so dass von einem modernen deutschen Styl in der ange-
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 22, S. 837, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-22_n0837.html)