Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 22, S. 838

Das Ergebniss der Münchener Kunstausstellung von 1897 (Fuchs, Georg)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 22, S. 838

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838 FUCHS.

wandten Kunst noch nicht gesprochen werden kann. Manche bestritten
deshalb die Existenz einer eigenthümlich deutschen Decorationskunst
überhaupt. Die alten Cyniker! Bedachten sie denn nicht, dass der Kampf,
das Ringen vieler selbstständiger Tendenzen uns am besten dafür bürgt,
dass wir dem englischen Einflusse, der Alles zu überwuchern droht,
entgangen sind? Hätte die erste Collection gleich einen stylistisch ab-
geschlossenen und einheitlichen Eindruck gemacht, so wäre das ver-
dächtig gewesen. Das wäre nur zu erreichen, wenn man, wie in Frank-
reich, auf die englischen Vorlagen aufbauen würde. Das geschah nicht.
Die führenden Künstler haben sich durch das Beispiel der Amerikaner
belehren lassen und gingen frisch und unbedenklich von dem Grund-
satze aus, wir wollen die Dinge, deren wir bedürfen, so praktisch und
so schön wie möglich machen! Und damit ans Werk!

Dieses rein constructive Denken und Entwerfen scheint mit Sicher-
heit zu einem Style zu führen, denn es bewahrt vor Extravaganzen und
Verführungen. Hermann Obrist ist derjenige unter den führenden
Künstlern dieser Art, welcher am strengsten auf die Bedingungen, die
Construction und Material stellen, achtet. Er wurde bekannt durch
seine Stickereien, die er in München, Berlin und London ausgestellt
hat. Im Glaspalaste befinden sich aus dieser Collection die vier Meter
hohe Wanddecoration »Der blühende Baum« und ein Vorhang mit einem
lebendigen, silberhell ausgeführten Motive, das an das Flimmern der
Sonnenstrahlen auf dem Bache erinnert. Die wunderbare Wirkung der
Obrist’schen, von Bertha Ruchet ausgeführten Stickereien entspringt
daraus, dass der Künstler mit sicherem Gefühle den Eigenheiten und
Schönheiten des Materials nachspürt und diese bei seinen Entwürfen
sorgfältig berücksichtigt. Obrist verzichtet darauf, mit der Nadel zu
malen, denn der Charakter der Seide ist Glanz und Schimmer, nicht
Farbe. — Wir finden ferner einen Teppich mit einem Wurzelmotive
als Grund, über den sich ein in Spiralen wirbelndes Muster hinschnellt.
Der Eindruck ist ein ganz toller, fascinierender. Auf diesem Teppiche
steht eine Truhe: ein Meisterstück von edelster Einfachheit, kräftigen
Formen, wirksamer Behandlung des Materials. Die geschmiedeten Be-
schläge sind, trotz ihrer Schlichtheit, durchaus eigenartig, fest zusammen-
raffend und doch anmuthig und fein verlaufend. Das Schloss aber ist
vielleicht das Köstlichste daran: nur lässt es sich nicht beschreiben.
Ihm verwandt in dem Bestreben, sorgfältig für das Material zu erfinden,
möglichst die Construction des Gegenstandes selbst zur Schönheit durch-
zubilden, sind mehrere Künstler, so dass hier vielleicht die ersten
Ansätze eines Styles vorliegen. Wir nennen Carl Gross (Zinngefässe),
Richard Riemerschmid (Buffet aus Eibenholz), August Endell (We-
bereien, ausgeführt von Ninni Gulbranson), Kellner und Winhart
(getriebene Kupfergefässe), Carl Bertsch (Sofa), endlich die keramischen
Arbeiten der Künsterfamilie von Heider und von Leo Schmutz-Baudiss.

Otto Eckmann kann nicht minder auf eine führende Stellung
Anspruch erheben. Seine geschmiedeten Leuchter sind den besten Werken
Obrist’s mindestens ebenbürtig. In seinen Webereien dagegen, welche

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 22, S. 838, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-22_n0838.html)