Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 22, S. 842
Das Ergebniss der Münchener Kunstausstellung von 1897 (Fuchs, Georg)
Text
Es war eine Willkürlichkeit, den malerischen Naturalismus mit
dem sogenannten »poetischen« Naturalismus zu verknüpfen. Die Be-
wegung stellt sich auf literarischem Gebiete als ein heimtückischer
Angriff der Kunstunfähigen gegen die Kunst überhaupt dar. Der Stoff,
der ja so unendlich billig ist, sollte Alles sein, das Formen, das
Können nichts. In der Malerei war die naturalistische Periode nur
eine Zeit der Schulung. Man erwarb und schuf eine neue Technik für
ein neues Empfinden. Viele hervorragende Talente weilen noch in
diesem Vorhofe — wir zählen sie hier nicht Alle auf. Aber dass auch
diese scheinbar naturalistische Bewegung die Richtung zum Styl hin
genommen hat, kann man doch kaum mehr bezweifeln. Es ist nun als
wahrscheinlich anzunehmen, dass diejenigen Künstler, welche ihre
Thätigkeit der Freilichtmalerei und der angewandten Kunst zuwenden,
wie Berlepsch, Riemerschmid, v. Heider u. A., sich ge-
wisser Beziehungen zwischen ihrer Malerei und ihren Möbeln etc. wohl
bewusst sind, will sagen, dass die zum Styl gereifte Freilichtmalerei
die zu einer gewissen Art moderner Innendecoration gehörige Malerei
ist. In der That, wenn wir uns Bilder des Grafen Leopold v. Kalck-
reuth in eine Einrichtung von Obrist hineindenken oder Landschaften
von Keller-Reutlingen, Stadler, Strützel, ein Bild wie die
»Junge Liebe« von Strobentz zu Möbeln von Berlepsch disponiren,
endlich die delicaten Töne Hugo König’s zu der vornehmen Zierlich-
keit Riemerschmid’scher Construction stimmen: so ahnen wir, dass sich
das recht gut vertragen und harmonisch abschliessen werde. Wie gross
und frei und glücklich muss uns eine lichte, einfach gehaltene Diele
neuen Styles anmuthen, die als höchste Zierde eines der majestätischen
Thierbilder unseres genialsten Freilichtmalers enthält: Heinrich Zügel’s!
Noch ein Wort davon, dass auch die Plastik Ansätze zeigt,
die uns hoffen lassen, dass sie in die neue grosse Einheit der bildenden
Künste ebenfalls eingehen werde. Zu diesem Glauben ermuntern uns
vorzüglich die Sculpturen von Josef Flossmann, Cipri Bermann
und J. v. Kramer. Ein neuer deutscher Styl der bildenden Kunst,
unser Styl — sollte er wirklich nicht mehr so ferne sein?
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 22, S. 842, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-22_n0842.html)