Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 22, S. 841
Das Ergebniss der Münchener Kunstausstellung von 1897 (Fuchs, Georg)
Text
alter Styl als Surrogat zu Hilfe nehmen mag. Wir betrachten also die
hervorragenden Gemälde der Ausstellung von 1897 als decorative
Werke in der dargelegten Unterscheidung.
Eine Innenarchitektur von Melchior Lechter mit stillen, kühlen,
capellenartigen Räumen, verlorenen Winkeln, in denen die bunten
Lichter der Glasfenster auf bleichen Fliesen ruhen, mit schwerem
Getäfel und strengen, ernsten Gestühlen: das ist die Stätte, wo Werke
von Arnold Böcklin mit uns leben können: »Der Abenteurer«, »Gott
Vater zeigt Adam das Paradies« und die anderen älteren Schöpfungen
des grossen Meisters. Sein jüngstes Bild »Jagdzug der Diana« (1897)
lassen wir ausser Betracht. Der Meister ist ja unschuldig daran, wenn
mercantile Speculation sich auch der Versuche seiner greisen Hand be-
mächtigt. Für den Styl des gedämpften, warmen Lichtes schaffen auch
Ludwig v. Hofmann, Samberger, Leistikow, die Worps-
weder
Schule, der Landschafter Palmié (»An der Wörnitz«) und
der ausgezeichnete Thiermaler Hubert v. Heyden. Ich denke mir
seinen »Geflügelhof« z. B. als Supraporta in einen Speisesaal. Franz
Stuck hat sein grosses Bild »Die Vertreibung aus dem Paradiese«
zweifellos für eine Galerie berechnet. Es ist ein »Galeriestück«, und
das erklärt uns seine Mängel: den Mangel der schwülstigen Farben-
gebung, den Mangel an Concentration, den Mangel in der Wahl des
Formates — es ist zu gross. In eine Kirche gehört das Bild doch
nicht, denn es ist nicht christlich, und die Kirche ist nicht mehr un-
christlich wie zur Zeit der italienischen Renaissance. Grandios ist Stuck
als Poet des Nackten. Der Körper des Adam, der leuchtende Leib
der Eva: das ist »Augenlust, Fleischeslust und hoffärtiges Wesen«, jene
frevelhafte, strotzende Schönheit, die uns Rubens lehrte. Besser fügt
sich sein »Bacchantenzug« in den Styl der modernen Profandecoration.
Er zeigt jedoch durch die Mischung antiker und modernster Motive
mit Renaissance-Ideen die stylistische Unsicherheit seines Autors deutlich
an. Es ist an sich kein Grund des Tadels, wenn ein Künstler auf die
Kunstweise einer vergangenen Epoche aufbaut, nur muss diese als Roh-
stoff ganz aufgehen in dem Neugeschaffenen. Nicht ohne Humor lässt
es sich verfolgen, wie sich dieser Process in den kräftigsten Werken
Lenbach’s, der doch ganz als Nachahmer, als Renaissance-Mensch
genommen sein will, von selbst vollzieht. Man braucht nur seine Damen-
bildnisse zu studiren, um zu sehen, wie weit Lenbach von seinem
theoretischen Ideale, zum Glück, entfernt ist. Mitunter bleibt er aller-
dings in der Nachahmung der Renaissance schlechthin stecken (»Tochter
des Tizian«), aber dann ist er besonders schwach und nicht besonders
stark, wie er selbst etwa glaubt. Er hat sich in der That selbst zum
Helden einer Tragicomödie erkoren, als er die Neudecoration des Glas-
palastes in alleinseligmachender »Renaissance« gerade in dem Jahre
durchsetzte und persönlich leitete, als die moderne deutsche
Kunst des Innenraumes ihren ersten Triumph im Glaspalaste feierte.
Wie nöthig sind doch noch die Ausstellungen!
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 22, S. 841, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-22_n0841.html)