Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 22, S. 840

Das Ergebniss der Münchener Kunstausstellung von 1897 (Fuchs, Georg)

Zum TEI/XML Dokument

Faksimile

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 22, S. 840

Text

840 FUCHS.

(mit Einschluss von Oesterreich, Schweiz natürlich) zu dienen und diese
im öffentlichen Leben und bei den Gewerbetreibenden einzuführen.
Denn das ist unbedingt nothwendig. Den Künstlern müssen Aufträge zu-
theil werden, es muss durchgesetzt werden, dass das Einrichten nach
alten oder ausländischen Stylen für minder vornehm, für provinzial gilt.

Es scheint mir eine wichtige Wechselbeziehung zu bestehen zwischen
den Aufträgen und der Entwicklung des Künstlers: Der, welcher viele
Aufträge für bestimmte Zwecke erhält, wird, bei gleicher Begabung,
seinen Beruf nicht so rasch verfehlen als derjenige, welcher sich selber
überlassen bleibt und endlich fanatisch und verbissen in der Malerei
nichts Anderes mehr erkennt als eine Möglichkeit, seine »Individualität
auszuleben«, sich auszutoben in Oel und Griffelstrichen.

Für die Malerei des neuen Styles fehlte es bisher an Innen-
räumen. Das passte weder in eine Einrichtung à la Renaissance, noch
à la Rococo, noch à la Empire, bestenfalls in den mitunter beliebten
»Bauernstyl« (Tiroler, Schwarzwälder Styl). Aber der Bauernstyl ist
eigentlich schon ein Anfang der modernen angewandten Kunst. Nicht
wenige der jungen decorativen Künstler nahmen bäuerliche Motive zur
Grundlage. Hans Thoma, von dem wir auf der Ausstellung nur zwei
kleine Landschaften und die berühmten Lithographien finden, steht also
zu dieser Zierkunst in unmittelbarer Beziehung. In einer Stube, die
nach Berlepsch oder Gradl und Schlottke eingerichtet ist, wird
ein Werk von Thoma als der letzte, erlösende Klang abschliessen.
Wenn wir uns ferner vorstellen, dass der werdende deutsche Styl
einerseits auf eine ausgiebige Verwendung der Glasmalerei hin-
führt — Ule in München hat z. B. Fenster nach Riemerschmid
und Erler ausgestellt — andererseits aber auf ein sehr helles Wohnungs-
milieu hinausläuft, so erkennen wir plötzlich, warum die deutsche
Malerei sich in zwei Hauptsträngen entwickelt hat, die man seither
stofflich-literarisch unterschied als »Neuidealisten« und als »Realisten«. Wir,
in der Ueberzeugung, dass die Malerei nichts sei als eine Art der
decorativen Kunst, bezeichnen die Einen als Maler des gedämpften
Innenlichts, die Anderen als Maler des Freilichts. Nicht giltig ist
der Einwand, dass die älteren Künstler, z. B. Böcklin, doch nicht
für etwas hätten schaffen können, was noch nicht vorhanden war. Ich
glaube an ein Gefühl im bildenden Künstler, das ihn, bald mehr, bald
weniger, auf den Zweck, auf das endliche Schicksal seines Werkes
hinlenkt, wenn auch oft unbewusst. Kein wirklicher Künstler hofft,
dass die Schöpfungen seiner vollen Kraft in Magazinen zwischen
Anderen, die sie gar nichts angehen, ihre unfröhliche Urstätt finden
möchten. Er freut sich als Bürger und Mensch, wenn er ein Bild an
eine Staatsgalerie verkauft. Sobald er aber von Geld und »Ehre« ab-
sieht — und das ist doch einem Künstler zuzutrauen — dann denkt
er sein Werk in eine Umgebung hinein, in der es lebt, in der es
organisch und nothwendig ist. So lange er sie nicht in der
Wirklichkeit findet, erträumt er sie, wobei er wohl auch das Milieu

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 22, S. 840, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-22_n0840.html)