Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 23, S. 877
Text
eignen Glück, indem sie dadurch des kommenden Genusses freudiger,
würdiger würden. Diese stillen, aristokratischen Mienen, dieses Räthsel
auf den Gesichtern. Sie machen, wie die lebenden vornehmen Basle-
rinnen, immer den Eindruck, als sprächen sie nie; als wäre das Reden
für sie das Preisgeben eines hohen Geheimnisses; ein leeres, unnützes
Schwatzen über einen ungeheuren Verlust, den sie einst erlitten; als
gäbe es Grösseres, Würdigeres als das Sprechen oder als wäre es ihrer
Aller nicht angemessen, zu Menschen einer Zeit zu reden, die in einem
so grauen Leben wandeln und die nicht in der Tiefe ihrer Seelen
noch die Tradition einer aristokratischen Vergangenheit heilig hüten.
Als hätten sie Trauer im Blicke, weil ihre herrliche Stadt mit eins ihr
ganzes Antlitz verändern und verkehren konnte, und als lebten sie im
Puritanismus nur wie unter einer den Athem beengenden Maske, die
sie einst um so heitrer und freier wieder von sich würfen, wenn die
frühere Herrlichkeit für ihre Stadt wieder anbrechen würde. Schweigende,
vornehme Häuser mit geschlossenen Läden; verschwiegene, schweigende,
sehnende Herzen
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 23, S. 877, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-23_n0877.html)