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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 23, S. 900

Text

900 DIX.

Weltfriedensentwürfe theilgenommen und seine Grundzüge in der
»Gegenwart« von 1878 entwickelt.1)

Auf die grosse Menge dieser Schiedsgerichtspläne näher ein-
zugehen ist hier nicht der Ort. Sie bilden nur ein Document der einen
Grundthatsache im Verkehr zwischen den Völkern, dass die Kriege
eine dauernde Verminderung und Milderung erfahren.

Aber noch eine zweite, mindestens ebenso wichtige Grundthat-
sache des internationalen Lebens zieht sich durch die Jahrhunderte
und Jahrtausende, wenn man so will, eine Umwälzung des Kriegswesens
in grossartigstem Massstabe: Es ist der allmälige Uebergang vom Waffen-
kriege zum Wirtschaftskriege.

Die Völker des Alterthums waren wesentlich, wie Ingram es treffend
ausdrückt,2) »für den Krieg organisirt,« indessen die modernen Völker
»während ihrer ganzen Geschichte in immer mehr zunehmendem Grade
das Bestreben gezeigt haben, sich in ihren Einrichtungen den Anforde-
rungen der wirthschaftlichen Thätigkeit, als ihrem praktischen Endzweck
und Ziele, anzupassen.“ Das Alterthum war beherrscht von dem Institut
der Sclavenwirthschaft, von der Verachtung der gewerblichen Arbeit,
als des freien Mannes unwürdig, dem nur kriegerische Beschäftigung
ziemte. Die Arbeit war noch nicht des Bürgers Zierde, sie war vielmehr
als verächtlich gebrandmarkt. Die productive Thätigkeit des Volkes war
ausseist beschränkt, die kriegerische herrschte vor. Jede Ausdehnung
der Wirthschaft im modernen Sinne war durch den kriegerischen Grund-
charakter der Zeit und die damit verbundene ununterbrochene Gefahr
für Leben und Eigenthum unmöglich gemacht. Der geschichtliche Beruf
der alten Civilisation bestand nach Ingram darin, »nicht durch die
wirthschaftliche Thätigkeit, sondern durch den Krieg eine Lage der
Dinge zu schaffen, welche die Ausscheidung dieser Civilisation selbst
und die Gründung einer auf friedlichem Wirken ruhenden gesellschaft-
lichen Ordnung der Dinge gestattet.« Rom hat diese Aufgabe gelöst.

Der Umschwung, den das Christenthum brachte, war zunächst
die Würdigung der Arbeit. Das Wirthschaftsleben erfuhr eine starke
Hebung einerseits in den Klöstern, andererseits durch die Kreuzzüge,
die den Handel ausserordentlich belebten. Einstweilen aber fehlte es
an Transport- und Communicationsmitteln, daneben drückten die ge-
werblichen und Zins-Beschränkungen, und der Kriegszustand dauerte in
Folge der unaufhörlichen Kämpfe zwischen Papst und Kaiser fort. Auch
die Verachtung der gewerblichen Arbeit dauerte zum Theil trotz des
Christenthums neben dem Feudalismus fort, und namentlich finden wir
trotz des durch die Kreuzzüge bewirkten Aufschwunges noch eine tiefe
Verachtung des Handels.


1) Vergl. auch sein Völkerrecht, 3. Aufl., S. 109—110 und Buch VII.

2) »Geschichte der Volkswirtschaftslehre«. Von Dr. John Kells Ingram.
Professor am Trinity College, Dublin. Deutsch von E. Roschlan, Tübingen 1890.

(Schluss folgt.)


Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 23, S. 900, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-23_n0900.html)