Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 23, S. 903

Theater an der Wien Rosmer, »Themistokles« Hedberg, »Judas«

Zum TEI/XML Dokument

Faksimile

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 23, S. 903

Text

NOTIZEN. 903

unsere grossen Musiker haben nie
grundlos den Pfad des Musi-
kalisch-natürlichen überschritten.

Eine den Leitern des Riccordi-
schen Unternehmens fast con-
geniale Reclame hat sich diesmal
die Direction des Theaters an der
Wien gegönnt. Wir wollen nur
einen kleinen Zug anführen: Um
für die nicht leichte Partie der
Musette einen der stets theuren
Gäste zu ersparen, wurde diese
Rolle dem im Operettenfache
tüchtigen, aber etwas derben Fräu-
lein Frey zugetheilt und gleich-
zeitig das etwas unwahrscheinliche
Gerücht verbreitet, die Dame ge-
denke demnächst ihren Ueber-
tritt zur Opernbühne zu voll-
ziehen.

Es heisst, dass Fräulein von
Schönerer auch fernerhin das Genre
der Spieloper cultiviren wolle. Man
kann ihr dann nur rathen, vor Allem
grosse Veränderungen im jetzigen
Personalstande ihrer Bühne vorzu-
nehmen, da bei den derzeitigen
Verhältnissen nicht einmal die
Operettenaufführungen des Theaters
a. d. Wien einer Grossstadt ganz
würdig sind. H. K—r.

Ernst Rosmer. Themistokles.
Tragödie, S. Fischer, 1897.

Es ist nicht leicht zu errathen,
was die interessante Frau Elsa
Bernstein veranlasst haben mag,
den Themistokles zu schreiben.
Sollte die actuelle Sehnsucht nach
dem »bischen Griechenland« —
und Ernst Rosmer ist eine Literatur-
Modedame ersten Ranges — zur
Entstehung der Tragödie beige-
tragen haben?

Themistokles scheint von Ibsen’s
»Kaiser und Galiläer« stark be-
einflusst. In fünf lose verknüpften

Acten werden Scenen aus dem be-
wegten Leben des Helden vor-
geführt: Wie er durch List die
Griechen bei Salamis zum Kampf
und Sieg gegen die Perser führt,
wie er von den undankbaren Hel-
lenen durch das Scherbengericht
verbannt, zu Xerxes übergeht, sein
Feldherr wird und freiwillig stirbt,
da Xerxes ihn zwingen will, sein Heer
gegen die Griechen zu führen. Bemer-
kenswerth ist das, wie es scheint,
beabsichtigte Fehlen jeglicher be-
liebten und bequemen »dramati-
schen« Accente im herkömmlichen
Sinne zur Erzeugung »starker
Wirkungen«. Wie dramatische
Scenen aus einem Epos etwa reihen
sich die einzelnen Acte zwanglos
aneinander, und lediglich decora-
tive Wirkungen wollen, wie das
ausführliche Scenarium vermuthen
lässt, bei einer Aufführung die Ab-
sichten des Dichters unterstützen.
Auch Aeschylos muss auf die Bühne.
Rosmer lässt ihn aber wohlweislich
nicht sprechen, sondern bloss —
mimen; und es würde auch son-
derbar erscheinen, wenn der grosse
Sänger des Prometheus Sätze wie:
»Die Wehmirstrasse geh’ ich nicht.
— Dann kannst du die Schlacht
am Nimmermehrstage schlagen.
— Du musst in der Heutnacht
und in der Jetztstunde in das
Lager gehen etc. etc.« sprechen
müsste. S. E.

Judas. Ein Roman von Tor
Hedberg
. Bei Albert Ahn,
Köln. 1897.

Ein Mythos, der sich seit fast
zwei Jahrtausenden erhalten hat,
stellt Judas Iskarioth als das
Prototyp des Niederträchtigen, des
Gemeinen, des Verworfenen hin:
in der grossen Welttragödie »der

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 23, S. 903, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-23_n0903.html)