Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 24, S. 906
Text
auch die mussten aus ihren Werkstätten fliehen, da Amor an ihrem
edlen Sitz weilen wollte, um das wunderbare Weib zu schauen.
Und obgleich ich ganz ein Anderer war, als ich vorher gewesen,
so that es mir doch gar leid um jene Geisterchen, die sich heftig be-
klagten und sagten: »Wenn uns jener nicht mit seinem Blitzstrahl so aus
unserem Platze geschleudert hätte, so könnten wir dort sein, um
jenes Wunder von einem Weibe zu sehen, so wie die Andern unseres-
gleichen thun.« Und ich muss sagen, dass viele Frauen meine Trans-
figuration bemerkten und sich zu wundern begannen und davon redeten
und über mich mit jener Lieblichsten scherzten. Aber mein betrogener
Freund nahm mich in gutem Glauben bei der Hand, entzog mich den
Blicken jener Frauen und fragte mich, was ich denn hätte. Und als
ich eine Weile geruht und meine erstorbenen Lebensgeister wieder
auferstanden und die vertriebenen wieder an ihre Stelle zurückgekehrt
waren, da sagte ich zu jenem Freunde die Worte: »Ich habe den Fuss
an jene Stelle des Lebens gesetzt, über welche keiner hinausgehen
kann, der die Absicht hat, wiederzukehren.« Darauf trennte ich mich
von ihm und kehrte in die Kammer der Thränen zurück, in welcher
ich beschämt und weinend zu mir selbst sagte: »Wenn jene Frauen
meinen Zustand kennten, glaube ich nicht, dass sie mich so verlachen
würden, ja ich glaube, dass viel Mitleid mit mir sie ergreifen würde.«
Und wie ich noch so weinte, beschloss ich, Worte in Versen zu sagen,
in welchen ich ihr, an sie redend, den Grund meiner völligen Ver-
wandlung kundgeben wollte und ihr sagen wollte, wie gut ich wüsste,
dass derselbe unbekannt sei, und dass, wenn er bekannt wäre, Mit-
leid die Anderen ergreifen würde; und ich beschloss dies mit dem
sehnsüchtigen Wunsche, dass sie durch Zufall ihr zu Gehör kommen
möchten; und so verfasste ich folgendes Sonett:
Ihr scherzet über mich mit andern Frauen
Und denkt nicht, Herrin, wie es kommen mag,
Dass ich verändert Euch erschien am Tag,
An dem ich Eure Schönheit durfte schauen.
Wenn Ihr es wüsstet, darauf will ich bauen,
Zum Mitleid würde Euer stolzer Sinn,
Da Amor mich, sobald bei Euch ich bin,
Beherrscht mit übermüthigem Vertrauen.
Mit mächtigem Schlag ins zitternde Empfinden
Verjagt er meine bangen Lebensgeister,
Und er nur bleibt in mir, um Euch zu schauen.
So müsst Ihr mich wohl einen andern finden,
Und doch blieb ich genug der Seele Meister,
Zu fühlen der Vertriebnen schmerzlich Grauen.
Es ist wahr, dass unter den Worten, in welchen die Veranlassung
zu diesem Sonett erklärt ist, sich einige Worte von zweifelhaftem Sinn
finden, nämlich dort, wo ich sage, dass Amor alle meine Lebensgeister
tödtet und dass die des Gesichtes am Leben bleiben, jedoch ausser-
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 24, S. 906, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-24_n0906.html)