Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 24, S. 921

Die junge Generation (Schmitz, Oscar A. H.)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 24, S. 921

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DIE JUNGE GENERATION.
Von Oscar A. H. Schmitz (Paris).

Motto: Nous avons dissocié l’éducation du corps, de
l’âme et de l’esprit. Nos sciences physiques et
naturelles, très avancées en elle-mêmes font ab-
straction du principe de l’âme et de sa diffusion
dans l’univers; notre religion ne satisfait pas aux
besoins de l’intelligence; notre médecine ne veut
rien savoir ni de l’âme ni de l’esprit. L’homme
contemporain cherche le plaisir sans le bonheur,
le bonheur sans la science, et la science sans la
sagesse.
L’antiquité n’admettait pas, qu’on put
séparer ces choses. Dans tous les domaines elle
tenait compte de la triple nature de l’homme.

( Ed. Schuré , Les grands Initiés.)

Wenn in diesem blassen Zeitalter ein Schauspiel der Betrachtung
würdig erscheint, so sind es die verschwiegenen Leiden derer, welche
in dem gepriesenen Fortschritt dieses letzten Jahrhunderts nichts als die
zunehmende Verfinsterung eines Gestirns erblicken können, dessen milder
Schimmer über allen Heiligthümern ausgegossen lag, ob sie auf den
Höhen über den verbrannten Ebenen der Sonnenländer oder an den
träumerischen Flüssen und in den geflüstervollen Hainen des Nordens
gehütet wurden.

Das Gefühl des Unendlichen ist verloren worden unter den
Menschen, aber ich habe in den Städten des kranken Europa blasse
Jünglinge gesehen, in deren Blicken die Trauer der Spätgeborenen liegt;
welche, hingesunken vor der Schönheit des Vergangenen, sich in ihrer
Minderzahl ohnmächtig dünken, etwas Anderes als Wissende zu sein.
In fast priesterlichen Kreisen abgeschlossen, von den Drängen lebend,
welche heute als bewundernswürdig gelten, erkennen sie sich an
einzelnen Worten, obgleich nie eine Uebereinkunft zwischen ihnen ge-
troffen wurde, und es ist nur um ein Geringes übertrieben, wenn ich
behaupte, dass sie sich von Anderen schon durch die Art unterscheiden,
wie sie Speisen und Getränke fordern. Die Wundenmale ihrer ewigen
Kreuzigung ersetzen ihnen ein Schiboleth, dessen Aussprache vielleicht
eine gewandte Zunge erlernen könnte.

In allen Zeiten — mit Ausnahme dieser — verehrte man un-
bewusst das Ausserordentliche. Ein bevorzugtes Geschlecht, welches
vielleicht nichts als sein Stolz und eine masslose Verachtung der
Bürgerlichkeit unterschied, leitete die menschlichen Geschicke, berathen
von denen, welche kraft ihrer beschaulichen Weisheit über dem end-
lichen Leben standen. In der dunkeln Masse derer, die nichts sind als
eine Zahl, konnte nur der Ausserordentliche wahrgenommen werden.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 24, S. 921, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-24_n0921.html)