Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 24, S. 929

Henry George (Zenker, Ernst Victor)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 24, S. 929

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HENRY GEORGE.
Von Ernst Victor Zenker (Wien).

Die »schwarze Kunst« wurde Gutenberg’s Erfindung mit einer
Mischempfindung aus heiliger Scheu und verdriesslichem Spott von
jenen Leuten genannt, die sonst der schwarzen Farbe eben nicht ab-
hold sind, und die Obscuranten hatten wirklich einigen Grund, miss-
trauisch auf die Buchdruckerkunst zu blicken, die vom Bösen förmlich
für die Zwecke der Reformation erfunden zu sein schien. War’s drum
ein Wunder, wenn die fromme Volkssage die Person eines der ältesten
Drucker, Johannes Fust, mit der des unheimlichen Zauberkünstlers des
Dr. Johannes Faust identificirte, den — was nach der Frommen
Meinung auch dem Fust gebührt hätte — der Teufel bei lebendigem
Leibe holte? Ob nun Fust wirklich ein Faust im Goethe’schen Sinne
gewesen, ist freilich mehr als zweifelhaft. Allein die wahrhaftigen Faust-
Figuren waren unter den Jüngern der schwarzen Kunst zu allen Zeiten
nicht selten. Es ist nicht anders möglich, als dass etwas von dem
dämonischen, die ganze Welt und Menschheit umspannenden Geiste,
der in der Sache lebt, auch auf die übergehe, welche sich beständig
mit ihr befassen. Grosse Philanthropen sind aus den Officinen oft recht
kleiner Buchdruckereien hervorgegangen, und kühne Himmelstürmer,
welche die Welt harmonisch neuordnen, zweckmässig einrichten wollten,
wie einen grossen, praktischen und wohlgeordneten Setzkasten. Benjamin
Franklin, der classische Vertreter des humanistisch-demokratischen
Staatsgedankens im vorigen Jahrhundert, war ein schlichter Buch-
drucker; Pierre Joseph Proudhon, unstreitig der tiefsinnigste Social-
philosoph unseres Jahrhunderts, hatte eine kleine Druckerei in Besançon,
und auch Henry George, dessen Name in den letzten Tagen wieder
dadurch in den Vordergrund tritt, dass ihn die bei der letzten
Präsidentschaftswahl unterlegenen Anhänger Bryan’s zum Lordmayor
von New-York candidiren — auch er war ein einfacher Buchdrucker-
gehilfe, der die »San Francisco Times« früher setzte, ehe er ihr Herausgeber
wurde.

Es war im Beginne der Achtzigerjahre, als Henry George’s Name
im Sturme die gebildete Welt eroberte und die Geister entzündete
durch das evangelische Feuer, das in seinem 1880 erschienenen Haupt-
werke »Fortschritt und Armuth« (»Progress and Poverty«) loderte. Der
bis dorthin unbekannte amerikanische Schriftsteller, dessen erste Schrift
»Our Land and Land Policy« auch jenseits des Atlantic kaum irgend
welche Beachtung gefunden hatte, war mit einem Schlage unter die
»grossen Socialisten« gerückt und schien eine Zeit lang sogar der

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 24, S. 929, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-24_n0929.html)