Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 24, S. 922

Die junge Generation (Schmitz, Oscar A. H.)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 24, S. 922

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922 SCHMITZ.

Die Uebrigen blieben verdeckt, wie es dem nothwendigen Unterbau
eines Hauses geziemt. (Vielleicht ist es ihre brutale Notwendigkeit,
welche diese Zahlreichen so verächtlich macht.) Er aber gab Gesetze,
gekräftigt durch die nur in ihm lebendige Erinnerung seines göttlichen
Ursprungs, setzte ein und setzte ab, und die Vornehmen verehrten in
ihm das Aufflammen der heiligen Gluth, deren Widerschein in
ihren eigenen Blicken leuchtete, deren Erinnerung sie durch kluge Ver-
bindung der Geschlechter in ihren Sprossen wachzuhalten versuchten.
Sobald aber ein Solcher über die Erde gegangen war, änderte sich ihr
Antlitz, ob es gleich oft nur unmerklich geschah.

In dieser Zeit hat ihr geringer Stolz jenen Zahlreichen gestattet,
grössere Habe anzuhäufen, als es die Bevorzugten vermochten; und viele
von diesen haben darum ihre masslose Verachtung der Bürgerlichkeit
verloren. Dem Bürger aber hat man den Stolz gestattet. Die Priester
verschliessen sich in die Tempel oder treten in den Dienst jener neuen
bürgerlichen Menschheit, welche mit dem Talisman des Besitzes die an
sich unzulänglichen Persönlichkeiten erweitert. Der Widerschein der
göttlichen Flamme ist erstorben unter den Bevorzugten. Der Ausser-
ordentliche ist von den stumpfen Augen der Blinden umgeben, die
Strahlen seines Geistes verlieren sich in der Finsterniss, ohne dass sie
der Spiegel seiner Umgebung auffinge. Doch auch ungetrübten Blicken
entgeht er oft, da ihn die Zahl der durch Besitz Ausserordentlichen
verdeckt.

Ich habe wohlwollende Beurtheilungen dieser Zeit gelesen, in
welchen man von den Besitzenden, welche heute um ihres Besitzes
willen die Bevorzugten sind, die Würdigung der Ausserordentlichen
erhofft. Gleichwie die Bevorzugten in früherer Zeit in der Bethätigung
des Ausserordentlichen einen Funken der göttlichen Flamme verehrten,
deren Wacherhalten auf Erden ihre eigene Ueberlegenheit begründete,
so müssen die Bevorzugten dieser Zeit denjenigen würdigen, welcher
ihre Ueberlegenheit in ausserordentlicher Weise zu festigen weiss.
Diese Ueberlegenheit besteht im Besitz, und so sehen wir denn die,
welche durch nützliche Erfindungen den Besitz zu verwerthen oder
zu mehren ermöglichen, über alle den Sieg davontragen.

Diese Entwicklung der Gesellschaft, welche gewöhnlich mit dem
Wort »Fortschritt« bezeichnet wird, muss dem wahrhaft Ausserordent-
lichen, als dem ewig mahnenden bösen Gewissen, feindlich sein. Er sieht von
der durch Besitz künstlich erweiterten Mittelmässigkeit und den Neidi-
schen, welche das gleiche Recht der Erweiterung für Alle verlangen,
die Wege versperrt. Er wird zurückgedrängt als Einer, welcher die
Zeit nicht erfasst hat. So muss er sich in Zirkeln abschliessen, deren
altmodische Formen, welche in den Palästen der Vergangenheit all-
täglich erschienen wären, diesen »Herolden der Zukunft« nur lächerlich
erscheinen können, da sie in keiner Weise die Möglickheit eines Ge-
winnes verrathen.

Die angeborene Ausserordentlichkeit besteht in einer ungewöhn-
lichen Erkenntniss und dem Willen, dieselbe zu objectiviren. Es muss

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 24, S. 922, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-24_n0922.html)