Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 24, S. 937

Zwischen den Völkern (Dix, Arthur)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 24, S. 937

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ZWISCHEN DEN VÖLKERN. 937

zwischen den Völkern. Und wer wollte behaupten, dass die Opfer des
Wirthschaftskrieges geringer sind als die Opfer des Krieges mit den
Waffen! Nur dass man die Leichen nicht auf einem Schlachtfelde bei-
sammen sieht. Nur dass die rüstigen Kämpfer keine Orden und Ehren-
zeichen erhalten.

Der deutsche Zollverein war kein plötzlicher grosser Schlag wie
der Sieg von Sedan, aber er war mindestens nicht weniger bedeutsam
als dieser. Die Zoll- und Handelsverträge lenken die Politik der Jahr-
zehnte und greifen in die Entwicklung der Staaten aufs Tiefste ein. Die
Zollkriege vermögen Wunden zu schlagen, die in Jahrzehnten nicht
heilen. Zollverträge und Zollkriege lenken Waffenverträge und Waffen-
kriege. Eine so feste und bedeutende militärische Organisation unsere
modernen Staaten auch aufweisen, die kriegerische Organisation kommt
erst nach und zum Schütze der wirthschaftlichen. Und wenn man heute
Pläne aufstellt, die sich etwa mit den »Vereinigten Staaten von Europa«,
mit einem völkerrechtlichen Zusammenschluss verschiedener europäischer
Staaten, mit einer schiedsgerichtlichen Beseitigung des Krieges be-
schäftigen, dann darf man nicht bei der rechtlichen Seite und der
Kriegsfrage stehen bleiben, sondern muss in allererster Linie die wirth-
schaftliche Seite ins Auge fassen. Auch zu dem deutschen Bundesstaat
hat nicht der Krieg, sondern der wirthschaftliche Zusammenschluss die
feste Grundlage gegeben. Wer, wie es heute so häufig geschieht, die
»Vereinigten Staaten von Centraleuropa« in der Theorie begründet,
der hat zunächst den »Zollverein von Centraleuropa« zu begründen,
wie das ja auch bereits mehrfach geschehen ist. Einem solchen Zollbund
hielt Fürst Bismarck seinerzeit folgende sechs Bedenken entgegen:

1. Die Gegensätze der industriellen und landwirtschaftlichen
Interessen.

2. Die Schwierigkeiten des gemeinsamen Aussentarifs.

3. Die Verschiedenheit der Gebrauchsabgaben in den einzelnen
Staaten.

4. Die Schwierigkeiten der Verwaltung der Zollerhebungen nach
gleichen Grundsätzen.

5. Die Schwierigkeit der Vertheilung der Zolleinnahmen.

6. Die Ungleichheit der Geld- und Währungsverhältnisse.

Da wäre nun zu bemerken, dass fast all diese Schwierigkeiten
auch heute schon innerhalb des deutschen Bundesstaates, beziehungs-
weise zwischen den Staaten mit Zollverträgen bestehen. Der deutsche
Zollverein und die modernen Handelsverträge haben sich über diese
Schwierigkeiten hinwegzusetzen vermocht; sie können keineswegs ge-
leugnet werden, scheinen aber auch nicht unüberbrückbar. Auch wenn,
wie v. Philippovich-Wien vorschlägt, an einzelnen Binnenzöllen fest-
gehalten würde, brächte der Zusammenschluss doch so viel Vortheile
mit sich, dass einzelne Nachtheile darum gern in den Kauf genommen
werden würden. Dieser wirthschaftliche Zusammenschluss brächte eine
politische Macht und Sicherheit mit sich, die auf keinem anderen

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 24, S. 937, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-24_n0937.html)