Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 1, S. 3
Text
Blind sind die Augen, die sonst herrisch lohten,
Nimmer kehren die glanzbeschuhten Boten,
Die auf Strahlenpfaden eilen,
In silbernen Gespinnsten schwingen,
Die blonden Knaben, die mit Demantpfeilen
Den bunten Schein der Welt uns bringen.
Ein Abend drang zu meinem Herzen,
Des Gottes Athem verlöschte die Kerzen;
Doch dir verlieh er vor den Menschen allen,
Am tiefsten und am weitesten zu sehn,
Du trachtest nicht aus deinem Kreis zu gehn
Und zu belauern das entrückte Wallen,
Dankbar singst du von den Auen,
Im Glanz der Fülle darfst nur du sie schauen.
Der Sänger (spielt und singt):
Töne tief, du meine Laute,
Quill uns rein am höchsten Ort
Träume, die ich dir vertraute,
Und gib Stärke meinem Wort,
Und gib Stärke meinen Händen,
Dass sie dich mit Jubel führen,
Brausend deine Gluthen schüren
Jede Fülle zu vollenden!
Jauchzend von den gelben Hängen
Steigt des Weinstocks blaue Wucht,
Hochgebahrt, mit Festgesängen
Ziehet ein die edle Zucht.
Die schütten die Körbe, die hüten den Spund,
Die treten im Rund,
Die Kelter mit ächzendem Pflock zu beschweren
Und stampfen im Kreisen die quellenden Beeren;
Auf springen die Bronnen:
Braun wie der Rost,
Schiesset der Most
Süss in die sausenden Tonnen.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 1, S. 3, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-01_n0003.html)