Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 1, S. 13
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einer geistlichen, noch einer weltlichen Obrigkeit, weil eben alle Menschen
gleich und den Anfechtungen der Sünde unterworfen sind. Die be-
stehende Gewalt wird bei ihnen nur scheinbar geachtet; sie sind im
Herzen gegen jede Unterwürfigkeit und gegen jede monarchische Ge-
walt. Sie brauchen keine Rechtspflege und keine Gerichte, da sie
Niemand kränken wollen. Das Schwören ist nicht erlaubt, daher wird
die Eidesleistung verweigert. Ebenso halten sie es auch nicht für er-
laubt, Waffen zu tragen und Feinde zu bekämpfen. Mit ihren Mit-
menschen sind die Duchoborzen sanft, höflich und feierlich. Sie führen
ein arbeitsames, sittliches Leben und zeichnen sich durch hohen Wuchs,
Kraft und physische Schönheit aus. Die gegenseitige Hilfeleistung ist
bei ihnen stark entwickelt. Bettler gibt es unter ihnen nicht.
In dem Masse, wie der Wohlstand bei den Duchoborzen wuchs,
wurden sie im Erfüllen der moralischen Forderungen ihrer Gesetze
schlaffer: ihre Enthaltsamkeit schwand, sie fingen an zu rauchen, zu
trinken, Processe zu führen, unterwarfen sich sogar den Forderungen
der Regierung und traten in den Militärdienst. Aber P. Werigin und
noch einige tüchtige Männer führten sie zu ihrer Glaubenslehre zurück;
sie verschenkten nun ihr Eigenthum und stellten das Rauchen, Trinken
und Fleischessen ein. In Folge der Ränke einer kleinen Partei wurde
Werigin nach Kola (im Gouvernement Archangelsk) verbannt, fuhr
aber dennoch von dort aus fort, die geistige Bewegung der Ducho-
borzen zu leiten. Die Folge davon war seine Verbannung nach
Obdorsk in Nordsibirien. Auf dem Wege dorthin besuchten ihn in
Moskau sein Bruder und sein Vetter. Sie brachten ihren Glaubens-
genossen einen von P. Werigin herrührenden und von der grossen
Partei angenommenen Vorschlag mit: sich von der Eidesleistung und
dem Militärdienst sowie auch von jeder Theilnahme an den Gewalt-
massregeln der Regierung fern zu halten und alle Waffen zu vernichten.
Einer von Werigin’s Anhängern, ein Unterofficier, erklärte zehn Ducho-
borzen, die in seinem Bataillon dienten, dass sie am Ostersonntag 1895
nicht zur Parade gehen wollen, da man beschlossen habe, von diesem
Tage an den Dienst zu verweigern. Alle waren damit einverstanden
und blieben in der Caserne. Ermahnungen und Drohungen waren er-
folglos, und der Unterofficier wurde in ein dunkles unterirdisches Ge-
fängniss geworfen, wo er neun Tage lang bei mangelhafter Nahrung
bleiben musste. Auch die anderen zehn Soldaten wurden eingekerkert.
Am 14. Juni wurde Gericht gehalten und der Unterofficier auf drei
Jahre, die Anderen auf zwei Jahre zur Einstellung in ein Strafbataillon
verurtheilt. Einstweilen befinden sich die Verurtheilten im Militärgefäng-
niss von Tiflis; sie lassen den Muth nicht sinken und machen den
Eindruck von gesunden, heiteren Leuten.
Bald kamen noch weitere Weigerungen, den Militärdienst zu
leisten, bei den Duchoborzen vor; auch mehrere rechtgläubige Soldaten
folgten ihrem Beispiel. Alle kamen ins Gefängniss und wurden auf die
grausamste Art mit Kosakenpeitschen geschlagen. Ein Duchoborez
weigerte sich mit folgenden Worten, dem Kaiser zu dienen: Frage:
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 1, S. 13, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-01_n0013.html)