Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 1, S. 14
Text
»Weshalb wollen Sie dem Kaiser nicht dienen?« Antwort: »Ich
würde den Willen des Kaisers gern erfüllen, aber er verlangt, dass ich
Menschen tödten soll, und meine Seele wünscht das nicht.« Frage:
»Weshalb nicht?« Antwort: »Weil uns der Erlöser verboten hat,
Menschen zu tödten, und da ich an den Erlöser glaube, erfülle ich
Gottes Gebot.« Frage: »Wer sind Sie?« Antwort: »Ich bin ein
Christ.« Frage: »Weshalb sind Sie ein Christ?« Antwort: »Weil
ich Gottes Wort erkannt habe. Der lebendige Geist des Christen kann
und wird nicht eure Werke thun.« Der Berichterstatter fügt hinzu:
»Nach diesen Fragen und Antworten, sagte der Duchoborez, können
die Vorgesetzten nichts mehr mit uns anfangen.«
Einhundertundzwanzig Duchoborzen befinden sich im Gefängniss
von Jelisawetpol, theils weil sie ihre Landwehrpässe zurückgaben, theils
weil sie sich weigerten Gemeindedienste zu verrichten, theils weil
sie ungehorsam waren und Andere zum Ungehorsam verleiteten. Sie
verweigerten auch, Arrestantenkleider anzuziehen, die sie für unan-
ständig halten, und nahmen ausser Brot und Wasser keine Gefängniss-
kost an.
Aber es fehlte noch ein gemeinsamer, feierlicher Ausdruck ihrer
Lossagung von der Gewalt. Diese erfolgte nun durch den Entschluss,
alle vorhandenen Waffen zu vernichten. Im Kaukasus haben die Waffen
eine weit grössere Bedeutung als anderswo. Man legt dort nie die
Waffen ab, bewaffnet werden Besuche gemacht, Arbeiten verrichtet,
Heerden gehütet. Deshalb war die Vernichtung der Waffen eine Hand-
lung, wodurch die Duchoborzen bewiesen, dass sie entschlossen sind,
sich nicht mit Gewalt gegen das Böse aufzulehnen, d. h. dass sie
Schmälerungen ihrer Rechte und Angriffe auf ihr Leben erdulden
wollen, ohne gegen ihre Angreifer Gewalt anzuwenden.
Das Verbrennen der Waffen geschah heimlich, in der Nacht vor
dem St. Petri und Pauli-Tage, gleichzeitig im Gebiete von Kars, im
Gouvernement Jelisawetpol und im Kreise Achalkalaki. Nach diesem
Autodafé fanden während mehrerer Tage gemeinsame Gebete statt.
Einer der Betheiligten erzählt: Der Gottesdienst war noch nicht be-
endet, als unsere Kundschafter meldeten, dass Kosaken im Anzuge
seien, Wir erwarteten sie. Die Kosaken näherten sich, ihr Commandant
rief laut »Ura!« und sprengte mit der ganzen Abtheilung im vollen
Galopp an uns heran. Die Kosaken hauten auf uns ein und ritten uns
nieder. Diejenigen von uns, die aussen standen, wurden arg verwundet,
und die in der Mitte erstickten beinahe im Gedränge. Nach langer
Zeit rief der Commandant: »Marsch! Alle zum Gouverneur!« Worauf
dann unsere Alten ihm sagten: »Weshalb schlugst du uns, weshalb
sagtest du es nicht gleich? Wir wollten ja so wie so zum Gouverneur
gehen!« »So!« schrie er, »ihr räsonnirt noch!« und wieder fiel er mit
den Kosaken über uns her. Abermals hieben sie auf uns ein und
schlugen uns lange. Einige Kosaken schämten sich und fuchtelten nur
zum Schein; aber der Wachtmeister bemerkte es und meldete es dem
Anführer, der dann einem der Betreffenden einen solchen Peitschenhieb
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 1, S. 14, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-01_n0014.html)