Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 1, S. 15
Text
versetzte, dass ihm das Blut aus dem Gesichte spritzte; dabei rief er
ihm zu: »Warte, ich will dich lehren, den Kaiser zu betrügen!«
Verwundet und mit Blut bedeckt machten wir uns nun auf den
Weg zum Gouverneur. Beim Marschiren sangen wir Psalmen, aber der
Commandant verbot es und befahl den Kosaken, Lieder anzustimmen,
die so unzüchtig waren, dass wir uns schämten. Noch bevor wir zum
Gouverneur kamen, fand wegen eines unerheblichen Anlasses abermals
eine Execution statt, und zwar eine so barbarische, dass der ganze
Platz, auf dem wir standen, vom Blute roth gefärbt war. Als der
Gouverneur sah, wie man uns zugerichtet hatte, rief er: »Weshalb habt
ihr die Leute so geschlagen, das hatte ich nicht befohlen!« Als aber
auch er nichts mit uns ausrichten konnte, drohte er uns erschiessen zu
lassen, liess uns dann aber nur unbarmherzig durchpeitschen.
Nun wurden die Kosaken in den Ansiedelungen der Duchoborzen
einquartiert. Das Hab’ und Gut der Einwohner wurde ihnen preis-
gegeben. Zweihundert Kosaken standen drei Tage in jedem Dorfe; sie
nahmen Alles, was ihnen gefiel, peitschten und schlugen Alle, die ihnen
etwas verweigerten. In Bogdanowka hausten sie am ärgsten, dort kamen
auch Vergewaltigungen von Frauen vor.
Alle Einzelheiten der Qualen und Peinigungen, welche die Ducho-
borzen erdulden mussten, können hier nicht aufgezählt werden. Nachdem
die Einquartierung vorüber war, wurden die Sectirer aus ihren Dörfern
vertrieben; sie erhielten nur drei Tage Frist, um ihr Besitzthum und
ihre Habseligkeiten zu verkaufen, mussten daher Alles um einen Spott-
preis weggeben. Viel Vieh und Getreide konnte gar nicht veräussert
werden; alle Einwohner waren zugrunde gerichtet. Aus dem Kreise
Achalkalaki wurden 464 Familien in grusinische Dörfer vertheilt, man
gab ihnen aber kein Land, sie mussten daher auch den letzten Rest
ihrer Habe verkaufen und um elenden Lohn für die Grusiner arbeiten.
Leo Tolstoj’s Nachwort zu diesen Schilderungen ist zu lang, als
dass wir es hier in extenso wiedergeben können. Nur wenige Sätze
daraus mögen hier Platz finden:
»Die Ursache dieser Verfolgungen ist die, dass die Duchoborzen
mit erneuter Kraft und Erkenntniss zu ihrem ursprünglichen christ-
lichen Glauben zurückkehrten und den Entschluss fassten, thatsächlich
das Gebot Christi — dem Bösen nicht mit Gewalt zu widerstreben —
zu befolgen Die Regierung verlangt, dass ihre Anordnungen befolgt
werden; die Duchoborzen weigern sich dessen. Die Regierung darf
aber nicht nachgeben Man kann sie auch nicht verurtheilen, dass sie
so handelt, wie sie es thut. Sie braucht allerdings rohe Gewalt. Aber
sie kann sich in der That keines anderen Mittels bedienen; denn ist
es wohl möglich, mit vernünftigen, humanen Mitteln wahre Christen
zu zwingen, demjenigen Stande beizutreten, der das Tödten lehrt, und
der seine Mitmenschen zum Tödten vorbereitet? Rohe Leute kann
man zum Gehorsam zwingen, indem man sie prügelt, hinrichtet, von
Haus und Hof verjagt u. s. w. So lange die Regierung ihren Irrthum
nicht einsieht, kann sie nichts Anderes thun und ist deshalb auch nicht
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 1, S. 15, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-01_n0015.html)