Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 1, S. 20

Randglossen über London (Daudet, Madame Alphonse)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 1, S. 20

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20 DAUDET.

ausländische Sammlung, die Vereinigung der Manuscripte mit den
anderen Seltenheiten eines Landes; endlich diese wunderbaren Parthenon-
friese, wie sind sie dort angebracht und geordnet! Sie befinden sich
so gut am Platze, dass sie nichts von ihrem harmonischen Charakter
verlieren. Wenn man bei einem derartigen Museum Alles genau be-
trachten will, brauchte man eine ganze Woche mit Untersuchungen und
Besichtigungen; andernfalls kann man nur seine hervorragenden Gegen-
stände aufzeichnen, wie sie einem wieder einfallen, indem man das
hervorhebt und zusammenstellt, was sich dem Gedächtniss am besten
eingeprägt hat. Wir durchschreiten schnell die Waffensäle und befinden
uns mitten unter Schaukästen mit chinesischen und japanischen Porzellan-
sachen, jenen Segelfaltern, jenen blau- und rosafarbigen Gattungen,
jenen Kristallsachen, hartem Stein ähnelnd, jenen wie aus Elfenbein
geschnittenen Steinen. Die niedlichen Tanagrafiguren reihen sich in ver-
schiedenen Stellungen aneinander und drücken trotz der Kleinheit in
Folge des zierlichen Ebenmasses einen Adel, ein Ideal von Schönheit
aus. Die pompejanische Sammlung, all jene Eisen- sowie röthlichen und
grünlichen Kupfersachen, Räucherpfannen, Standbildchen, kleine Kunst-
gegenstände, grössere Gegenstände zum häuslichen Gebrauch. Man
träumt von diesen Getreidekörnern, die obgleich schwarz und durch-
einandergeworfen, doch noch deutlich erkennbar sind, jenen mehrfarbig
ausgeführten Gemälden, die zwar beschädigt, aber noch wohlerhalten
sind, mit einem ziemlich frischen Ton. Der Geist verliert sich vor der
geringsten Spur, vor der geringsten Feststellung des unerwarteten Ver-
hängnisses bis ins Unendliche; habe ich nicht Eier in einem Eier-
behälter gesehen, von denen das eine, obgleich doch sonst so zer-
brechlich, unbeschädigt war und damit alle Ueberlieferungen durch die
einzige Gunst des Zufalles über den Haufen warf!

Von anderem Interesse Modelle von Indianerhütten, Baumkähnen,
Pirogen, wild aussehende Haartrachten, Steinschlosswaffen, plumpes
Spielzeug, Proben von Perlen- und Filetarbeiten, wie die Blinden- oder
Siechenvereine deren ausstellen, Elementararbeiten kindlicher Köpfe.

Römische, griechische, egyptische Alterthümer, irdenes Geschirr,
klein und grünlich aussehend, Mumien von Katzen, Affen, Bestattungs-
gegenstände, als wenn Alles, was sich aus einer bereits so weit zurück-
liegenden Vergangenheit vorfindet, noch älter als diese sein müsste.
Handschriften auf Pergament, gerollt und unter Glas, Mumien, ent-
weder in ihrer Maske mit den weiten Augen, dem verdorrten Mund
oder mit einem kleinen umwickelten und mit einer Oberbinde ver-
sehenen Kopf, eine Art zusammengepressten und verkleinerten Kopf,
und Fusse mit schwarz gewordenen Bändchen umwickelt. Unter diesen
Mumien, in einem Grab, das im Innern Spuren buntfarbiger Blumen-
kränze aufweist, die Mumie der Kleopatra oder doch dafür gehalten.
Die Mumie der Kleopatra! Man möge sich die Wehmuth vergegen-
wärtigen, welche dieses Ueberbleibsel einstiger Macht und Liebe,
Königthum und Schönheit in einem erweckt, wenn man die dreifache
Einkerkerung des Todes, des Grabes und der Wickeln um das erwägt,

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 1, S. 20, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-01_n0020.html)