Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 1, S. 21
Randglossen über London (Daudet, Madame Alphonse)
Text
was ein Weib unter den Frauen, eine Königin und Geliebte war.
Und diese Geheimschrift von aberhunderten, soweit zurückliegenden
Jahren.
Unter dem verräucherten Himmel Londons, in diesen kalten,
dicken Nebeln, wo sie sich schon so manche Tage zeigt, die Mumie
der Kleopatra, der Tochter der Sonne, der brennendheissen Sandwüste,
des Nils mit den träge dahinfliessenden Gewässern, die Mumie der
Kleopatra, in Weihrauch, Myrrhe und all die lebhaften Gerüche des
vorchristlichen Egyptens einbalsamirt.
Die griechischen Parthenonfriese an den blauen Ufern ebenso am
unrechten Platze: Schönheiten antiker Kunst, Bewegungen von Reiterei
und Fussvolk, in einem Tanz, heldenhafte Thaten darstellend, Märsche
gegen den Feind oder den Vorbeimarsch nach dem Siege. Und die
Pferde heben im Gang denselben Adel wie die Menschen; ihre Nasen-
löcher athmen die Luft des Rennens ein oder das Geschmetter der in
geringer Ferne aufgestellten Trompeten. Ferner: Büsten, Standbilder,
Wunderwerke aus allen Künsten, riesenhafte egyptische Denkmäler, doch
unvergänglich schön, nachdenkende Sphinxe oder Gottheiten mit Adler-
köpfen, nichts gleicht diesem goldgelbem Weiss des griechischen Bodens,
noch der Vollkommenheit der Skulpturen.
Von den Zeichnungen — angefertigt von Michel Angelo, Raphael,
Vinci, Botticelli, Greuze, Watteau, in einer Sammlung, in der sogar
die Japaner ihren seltsamen Platz haben — gehen wir zu den Manu-
scripten, den Schriftproben von Königinnen, Dichtern, grossen Männern.
England hat Achtung und Liebe für ihre ruhmreichen Thaten; es ehrt
sie sogar in der Vorführung dieser vergilbten Papiere, dieser eigen-
willigen Schnörkel; und die Nebenbuhlerschaft Elisabeths und der Maria
Stuart tritt lebhaft in zwei Briefen hervor, von denen der eine bittet
und der andere verweigert. Dies ist die ungeheure Unterschrift Crom-
wells; jene kaum leserliche, italienische, Napoleons I., der in London
besonders gut im Andenken behalten wird, weniger als Besiegter, als in
seiner Eigenschaft als grosser, ausserhalb jeder Nationalität stehender
Mann.
Nun nach dem britischen Museum »Olympia«, das ich am Abend
unreres Besuches im Museum gesehen habe. Wie soll man den un-
geheuren Theaterbau beschreiben, der in seinem ganzen Umfange einen
Stapelplatz billiger Gegenstände birgt, von Erzeugnissen aus Algier,
Messingschmuck, ausländischem Naschwerk, vermengt mit minder-
werthigen Wohlgerüchen — einen Bazar mit kleinen, von Frauen ge-
haltenen Buden, diese entweder in Costüm oder seltsam frisirt.
Vor dem Schauspiel schlendert das Publicum in dieser Halle
umher, indem es sich bei den durch Uhrwerk gehenden Darstellungen
belustigt, wo man auf dem Boden eine Eisenbahn sieht, die in einen
Tunnel ein-, und auf der Mitte des Abhanges wieder herausfährt;
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 1, S. 21, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-01_n0021.html)